Westfalen-Blatt: das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Pflegebericht:
Bielefeld (ots)
Und täglich grüßt das Murmeltier: Die gestrige Übergabe des Experten-Pflegeberichts an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) erinnert an Szenen von 2009. Nur dass die zuständige Ministerin damals Ulla Schmidt (SPD) hieß. Aus drei Pflegestufen fünf machen, Demenzkranke besser versorgen, Pflegebegriff erneuern - an den Ideen hat sich nichts geändert. Leider fehlt auch immer noch der Mut, eine umfassende Pflegereform anzupacken. Es klingt wie Hohn, wenn Bahr sagt, eine Reform sei »komplizierter als erwartet«. Welch Mammutaufgabe das ist, wissen alle Beteiligten seit Jahren. Eine weitere Ausrede dürfte ebenfalls wegfallen. Niemand kann mehr behaupten, es fehle an Expertenwissen. Das Problem ist nur, dass die Fachleute im Pflegebeirat uneinig sind. Kurzerhand haben sie sich um einen Kostenvorschlag gedrückt. Zwei Milliarden Euro waren den Arbeitgebern zu viel, den Wohlfahrtsverbänden zu wenig. Am Ende knickten letztere gegenüber den Unternehmern ein. Die Kostenschätzung wurde vom prominenten Platz im Bericht gestrichen. Als wäre ein Problem nicht da, weil man die Augen schließt. Es geht bei einer Pflegereform um viel mehr als Geld. Folgte die Regierung den Empfehlungen des Beirates, würde der entscheidende Konstruktionsfehler der 1995 eingeführten Pflegeversicherung behoben. Die Konzentration auf körperliche Leiden hätte ein Ende. Viel zu lange werden Demenzkranke benachteiligt. »Minutenpflege« lautet das Stichwort. Je schneller, desto besser, trifft es eher. Dieses Prinzip ist makaber und entwürdigend. Die Höhe der Leistung richtet sich nur nach dem Zeitaufwand des Pflegers oder pflegenden Angehörigen. Ein Demenzkranker, der mobil ist, fällt durch das Raster. Auch wenn er intensive Betreuung braucht. Heime mit vielen Pflegern, die die Selbstständigkeit von dementen Menschen fördern, werden oft ebenfalls finanziell bestraft. Ein unhaltbarer Zustand! Die kleine Reform der Regierung zur Pflege hat die Lage Demenzkranker zwar verbessert - von mehr Unterstützung für pflegende Angehörige bis hin zu mehr Geld bei einer Pflegestufe. Zu einem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff kann sich Schwarz-Gelb aber nicht durchringen. Angekündigt wird viel. Umgesetzt wenig. Mit einer solchen Reform ginge eine der wichtigsten Veränderungen einher. Der Medizinische Dienst würde die soziale und geistige Verfassung des Patienten begutachten und nicht nur die Minuten zählen, die es für die Hilfe beim Mittagessen braucht. All das ist ohne eine Erhöhung des Pflegeversicherungsbeitrags nicht umsetzbar. Das sollte uns gute Versorgung im Alter Wert sein. Wenn die Politik mutig wäre, würde sie die bessere Bezahlung von Pflegern - zusätzlich zu den Vorschlägen des Beirates - vorantreiben und die Kontrolle in Heimen in unabhängige Hände legen. Denn nur einen Expertenbericht durchzulesen und in die Schublade zu legen, verändert nichts für die Millionen Pflegebedürftigen in Deutschland.
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