Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Tod von Nelson Mandela
Bielefeld (ots)
Er sollte verrotten. Stattdessen hat er sein Land gerettet. Als Nelson Mandela 27 Jahre, sechs Monate und sechs Tage im Gefängnis saß, ging die Rechnung der weißen Unterdrücker nicht auf. Er wurde nicht vergessen, sondern zum Idol. Nach einem gestohlenen Leben einte Mandela 1990 sein zerrissenes Land. In Deutschland war gerade die Mauer gefallen, Osteuropa durchwehte ein Wind der Freiheit und Afrika erlebte den kometenhaften Aufstieg eines der Seinen: Alles schien gut zu werden. Vieles hatte ausgedient. Große Möglichkeiten taten sich auf. Aber das Gelingen war keineswegs selbstverständlich. Jetzt galt es zu gestalten. Das sind Momente der Welthistorie, in denen es allem modernen Geschichtsverständnis zum Trotz tatsächlich starker Männer oder starker Frauen bedarf. Mandela hat in dieser Phase seinen ganz entscheidenden Beitrag geleistet für Frieden und Versöhnung, statt Krieg und Bruderzwist. Noch 1994, als Mandela mit 74 Jahren zum Präsidenten gewählt wurde, legten verbohrte Apartheid-Verfechter Autobomben. Auch die Parteigänger von Mandelas einst in der Tat terroristischen ANC und der nicht minder radikalen Inkatha-Partei schlugen mit Macheten aufeinander ein. Mit brennenden Reifen wurden politische Gegner niedergemacht. Über den drohenden Bürgerkrieg obsiegte ein Nelson Mandela, der nicht von Anfang an die Person war für die er heute verehrt wird - er hat sich dazu entwickelt und er hat den Kurs der Gewaltfreiheit nach innen und nach außen durchgesetzt. Das ist seine übergroße Leistung. Nur er konnte vorleben, dass man Hass hinter sich lassen muss, wenn man wirklich etwas erreichen will. Mandelas größtes Vermächtnis ist sein bewundernswerter Mut zur Vergebung. Er reichte unverbesserlichen Rassisten die Hand, er verhandelte mit den Agenten und Folterern des alten Regimes und manches oft stundenlange Gespräch endete in tiefer Beschämung seiner alten Widersacher. Heute beklagen Kritiker, dass der politischen Befreiung die wirtschaftliche Emanzipation nicht gleichkam. Tatsächlich ist die weiße Minderheit auch zwei Jahrzehnte später noch überaus vermögender und in vielen Fällen einflussreicher als die vielfarbige Mehrheit. So sind immer noch 85 Prozent der Piloten bei South African Airways von weißer Hautfarbe. Leidenschaftlich diskutiert die Nation dieses Thema und dessen Ursachen. Gut so, genauso wollte es Mandela. Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich ist nicht überwunden, aber eines ist gewiss: der Frieden ist stabil. Niemand musste am Donnerstagabend, als zu später Stunde die Todesnachricht bekannt wurde, die Nationalgarde alarmieren oder irgendwelche Paläste schützen. Stattdessen steht die Regenbogennation Südafrika mit ihren elf Amtssprachen und noch mehr Ethnien in tiefer Trauer vereint. Die Deutschen, die das Gefühl nationaler Selbstfindung fast zeitgleich erlebten, sind mit ihnen.
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