Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Misstrauen gegen Juncker
Bielefeld (ots)
Nie zuvor sah sich ein neuer Kommissionspräsident nach weniger als einem Monat im Amt einem Misstrauensvotum ausgesetzt. Dass dieses Verfahren gegen Jean-Claude Juncker von den EU-Gegnern um den Briten Nigel Farage und der Ikone des Rechten Marine Le Pen, Chefin des französischen Front National, in Gang gesetzt wird, nimmt dem Verfahren zur Amtsenthebung sein Gewicht.
Denn es ist Teil der Strategie derer, die diese EU am liebsten von innen heraus zerstören würden. Dennoch bleibt ein Stigma auf der gar nicht so weißen Weste Junckers, das auch seine christ- und sozialdemokratischen Unterstützer erkennen: Schließlich hat der Ex- Chef der Eurogruppe den überschuldeten Staaten die Troika ins Haus geschickt, aber gleichzeitig einiges dazu getan, um Unternehmen aus diesen Ländern zu ermuntern, bei ihm Steuern zu zahlen anstatt zu Hause. Das hat wenig mit dem europäischen Geist zu tun, den Juncker so oft beschwor.
Natürlich wird das Misstrauensvotum scheitern. Selbst wenn bis zu dem Tag, an dem die Abgeordneten des Europäischen Parlamentes zum Schwur gerufen werden, weitere Beweise für Junckers Mitwirkung an den Praktiken auftauchen sollten, wird sich die breite Mehrheit der europäischen Volksvertretung keiner Initiative von rechts anschließen.
Aber man wird nicht verhindern können, dass Juncker durch eigene Fehler beschädigt bleibt. Denn auch wenn die Steuervermeidungs-Tricks legal waren, so dürften die Ermittlungen der Kommission doch Fälle hervorbringen, in denen der heutige Präsident dieses Hauses in seiner Zeit als Luxemburger Premier Verstöße gegen das EU-Beihilferecht duldete. Das ist unerträglich. Ob er selbst deshalb untragbar wird, ist offen.
Der Schaden, der der EU schon jetzt entstanden ist, wird nicht leicht zu beheben sein. Die Entzauberung eines Mannes, den alle als strahlenden »Mister Europa« regelrecht verehrten, kann kaum bestritten werden. Dennoch bleibt Juncker eine Möglichkeit, sein Image zu reparieren. Dann allerdings muss er in den nächsten Tagen sein Meisterstück abliefern: das 300 Milliarden Euro schwere Investitionsprogramm. Sollte es ihm gelingen, nicht nur eine realistische Finanzierung anzubieten, sondern auch nachhaltige Projekte auf den Tisch zu legen, die in den Mitgliedstaaten für Beschäftigung und wirtschaftlichen Aufschwung sorgen, wäre ihm ein »Wow-Effekt« gewiss. Dann hätte er gezeigt, dass er die europäischen Wege eben doch so gut kennt wie er vor der Wahl versprochen hat. Und dass diese EU bei ihm in guten Händen ist.
Geht dieser Schuss daneben, weil ihm außer der Umetikettierung bereits vorhandener und bewilligter Projekte nichts eingefallen ist, hätte Juncker eine Chance vertan, die nicht wiederkommt. Und die Zahl der Zweifler und Gegner würde wachsen. Der neue Kommissionspräsident steht nur wenige Tage nach dem Amtsantritt tatsächlich vor seiner Bewährungsprobe.
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