Westfalen-Blatt: zur EU-Flüchtlingspolitik
Bielefeld (ots)
Die Bilanz der vergangenen Tage ist ebenso gut wie bitter. Ja, es ist gelungen, einige Tausend Menschen vor dem nassen Tod im Mittelmeer zu retten. Aber die Zahlen zeigen eben auch, dass Europa das Problem noch nicht gelöst hat. Die Seenotrettung wurde intensiviert. Das ist gut so. Der Umgang mit Asylbewerbern bleibt ungelöst - bisher. Und es ist derzeit nur bei denen, die heute schon Flüchtlinge aufnahmen, Bereitschaft zu einem Umdenken zu erkennen. Die Konsequenz der eigenen Betroffenheit reicht noch lange nicht so weit, dass man die Menschen nicht nur rettet, sondern ihnen auch hilft. Europa muss umdenken. Natürlich sagt sich das leichter als es in der Praxis möglich ist. Ein zügiges, möglicherweise sogar kollektives Asylverfahren für Menschen aus Staaten, in denen wie in Syrien Krieg herrscht, könnte vielversprechend sein, weil damit auch eine rasche Arbeitserlaubnis und somit weniger soziale Lasten verbunden sind. Aber die EU wäre unehrlich, wenn sie nicht auch zugeben würde, dass man zwar helfen muss, aber nicht einladen möchte. Die Vorstellung, dass die Opfer von Bürgerkriegen über gesicherte Korridore auf den europäischen Arbeitsmarkt strömen, jagt vielen Regierungen in der EU mit Recht Angst ein. Brüssel wird also einen Verteilschlüssel finden müssen, der die unterschiedlichen sozialen, politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten berücksichtigt. Das dürfte so fair und gerecht wie stets gefordert kaum möglich sein. Am Ende werden wieder wenige die Tore öffnen, während sich andere aus der Verantwortung stehlen. Europa erstarrt fast vor Betroffenheit, wenn es zu humanitären Katastrophen kommt. Aber Konsequenzen zu ziehen, ist dann auch nicht populär. Das Umdenken, was man von der EU fordert, müsste vor Ort anfangen. Aber daran hapert es noch. So steckt die Union in einer selbstgebastelten Klemme, aus der sie herausfinden muss. Dabei wäre eine Formel, die nicht alle gleich behandelt, wohl die intelligenteste Lösung: Höchstquoten für jedes Land entsprechend seiner Bevölkerung, seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, seiner Arbeitslosenzahl. Dazu eine spürbare Entschädigung für jene Staaten, die die Last der Ersteinreise und der Asylantrag-Bearbeitung zu leisten haben, wenn sie sich zu humanitären Standards verpflichten. Ob das System am Ende nur fair oder auch gerecht sein kann, wird sich zeigen. Auf jeden Fall wäre der Druck, den Flüchtlingsstrom durch eine stärkere Kooperation mit den Herkunftsländern sowie den nordafrikanischen Staaten zu senken, für alle größer. Weil jeder betroffen ist. Doch ob die Staats- und Regierungschefs, die ein solches System absegnen müssten, sich wirklich darauf verständigen, scheint höchst zweifelhaft. Denn große Worte und leere Versprechungen sind - zynisch gesagt - einfacher und vor allem billiger.
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