Westfalen-Blatt: zum Berliner Schloss
Bielefeld (ots)
Das Vorgehen wirkte alttestamentarisch. Auge um Auge. Erst sprengte die DDR das Hohenzollernschloss, ein Symbol des 1945 besiegten alten Deutschlands, und zur Vergeltung riss man dann die Trutzburg der SED ab, den Palast der Republik. Die Trümmer wurden fortgeräumt, aber wenn heute der erste Mann im Staat zum Richtfest des Berliner Schlosses ans Pult tritt, müsste er statt des Manuskripts viel eher eine Schaufel mitbringen: zur Beseitigung des politischen Ballasts der Republik. 184 mal 117 Meter im Geviert, vier Stockwerke hoch, darüber eine Kuppel, wie sie nicht weit entfernt auch den Reichstag ziert: Das 590-Millionen-Euro-Projekt, Pracht- und Zweckbau in einem, strebt unaufhaltsam der Fertigstellung entgegen. Berlins zentrale Leere auf der Museumsinsel zwischen Spree und Kupfergraben, zwischen Brandenburger Tor und Alexanderplatz wird gefüllt. Mag auch die Fassade zunächst ohne barocken Schmuck auskommen müssen, weil die Spenden nicht in dem Maße fließen, wie sie angekündigt wurden: Stein und Beton sind nicht das Problem. Auch die Idee ist kein Problem. Vis-à-vis dem Dom und mit Blick hinüber zur Humboldt-Uni soll eine Kunstkammer entstehen, die mehr ist als nur ein Museum: ein Haus der Weltkulturen, eine architektonische Schönheit, mit der Berlin Anschluss sucht an die Ideale der preußischen Aufklärung, die durch 1871, 1914/18 und 1933 ausgesetzt wurden, aber historisch denkenden Menschen unverändert attraktiv vorkommen. Das Schloss soll zeigen, wie Deutschland mit Europas großen Demokratien, mit Paris (Louvre!) und London (British Museum!) auf Augenhöhe steigt: »Eine Menschheitsidee!«, prägnant und zu Recht unbescheiden formuliert von Horst Bredekamp. Der Kunsthistoriker ist einer von drei illustren Gründungsintendanten des Humboldt-Forums - neben Hermann Parzinger von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Neil MacGregor vom British Museum: Die Führung ist auch nicht das Problem. Das Problem ist das Interieur: das Humboldt-Forum. Der Bau nähert sich seiner Vollendung, und die Intelligenzija bekommt kein Nutzungskonzept auf die Reihe. Schön soll es nicht sein, was man da zeigt (»Gefahr der Ästhetisierung«). Vokabeln wie »Bildungsauftrag« fasst man nur mit der Kneifzange an, stattdessen sind individuelle kognitive Prozesse erwünscht. Die Rede ist von Edutainment, von SchülerInnenlaboren. Multimedial soll es sein, interaktiv sowieso. Über diesem Wortgeklingel aber hat man sich nicht einmal einigen können, wer im Schloss in welches Stockwerk zieht. Heute also ist Richtfest. Und eines dürfte klar sein: Paris und London, aber nicht nur diese beiden, werden genau hinschauen, wofür die deutsche Hauptstadt ihren Repräsentativbau Nr. 1 nutzen will. Berlin auf Augenhöhe? Wir werden sehen . . .
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