Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Thema Flüchtlinge
Bielefeld (ots)
Chaos in Ungarn, Chaos in Österreich. Und was macht Brüssel? Nach Wochen und Monaten des Streits zwischen Staats- und Regierungschefs, nach unfassbaren Bildern tausender Kriegsopfer, die durch die EU irrten und von einem Land ins andere geschickt wurden, nach viel zu langem Schweigen der Unionsführung, war die Standpauke von Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker ein Zeichen: Diese Gemeinschaft steht zu ihrem Wort und zu ihren Werten. Juncker hat hat Europa die Würde zurückgegeben.
Doch ein Problem bleibt: Der Chef der Europäischen Kommission kann gute Ideen haben und einen flammenden Appell für die Aufnahme von Flüchtlingen halten - es sind leere Worte, wenn die Staats- und Regierungschefs nicht mitziehen. Und danach sieht es bisher aus. Was sich die Lenker in Ungarn oder der Slowakei (um nur zwei Beispiele zu nennen) erlauben, widerspricht jedem Grundverständnis von Humanität und Menschenrecht. Es ist ein offener Verrat an der eigenen und der europäischen Geschichte.
Der Kommissionspräsident bekennt sich zu freiwilligen Helfern, den Münchner Studenten und den Dortmunder Bürgern, den Kölner Spendern und den Unterstützern in Berlin. »Sie sind Europa«, lobt Juncker und machte zugleich klar, dass er ein Votum der Menschen erwartet, die Einfluss auf ihre eigenen Regierungen nehmen können, wenn sie nur zeigen, dass nicht Abgrenzung, sondern Öffnung das Credo dieser Union ist.
Das Programm der Kommission würde eine solche Willkommenskultur verdienen. Der neue Verteilschlüssel erscheint fair, die errechneten Aufnahmekontingente sind für die Mitgliedstaaten kein wirkliches Problem, zumal nicht in einer Situation, in der nicht nur Deutschland qualifizierte Arbeitnehmer ausgehen. Junckers Plan ist mehr als nur eine Neuausrichtung der EU in Richtung eines Kontingentes, in dem Asyl als ein hohes Gut anerkannt wird. Es bedeutet zugleich eine Möglichkeit, die wachsenden Schwierigkeiten durch die demographischen Veränderungen in den Griff zu bekommen - zumindest dort, wo nicht die eigene Jugend auf der Straße steht. Zuwanderung als Chance, nicht als Risiko - ein politisch gewagter Kunstgriff. Aber ein hehrer Wechsel der Perspektive, Kriegsopfer nicht immer nur als Lasten zu verstehen. Europa wird sich verändern. Aus Flüchtlingen werden Gäste und schließlich Mitbürger werden, die Demokratie als Geschenk und politische Mitverantwortung als hohes Gut schätzen. Wer angesichts der Flüchtlingswelle von Gemeinsinn nichts wissen will, aber bei anderen Fragen, die einen selbst betreffen, nach Beistand ruft, hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Wenn diese 28 jetzt nicht zusammenstehen, werden sie die Solidarität auch bei anderen Herausforderungen vergeblich suchen. Solidarität kann man nicht teilen. Europa sollte Juncker folgen.
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