Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zu Thomas de Maizière
Bielefeld (ots)
Wenn Wahlen vor der Tür stehen, dann wird sie gerne beschworen - vornehmlich in konservativen Kreisen der Union: die deutsche »Leitkultur«. Diesmal ist es Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der einen Zehn-Punkte-Katalog zur »Leitkultur« vorlegt - als Einladung zur Diskussion, wie er beteuert. Einer Einladung dazu hätte es nicht bedurft. Allem voran das Erstarken von »Pegida« und der AfD hat nun wirklich jedermann im Lande vor Augen geführt, dass es in einem nicht unerheblichen Teil der Bevölkerung längst eine Hinwendung zum Deutschnationalen oder gar zum Nationalistischen gibt - so wie andererseits die traditionalistisch-islamisch geprägten Gesellschaftsteile in Deutschland zunehmend im Fokus stehen. Wenn denn jemand eine Debatte über das interkulturelle Miteinander und die Zuwanderung verweigert hat, dann jene Politiker, für die de Maizière exemplarisch steht. Ein Einwanderungsgesetz fehlt noch immer. Was aber heißt denn nun »Leitkultur«? Geht es um Deutschland als Kulturnation? Als Land der Händeschüttler? Oder definiert sich »Leitkultur« im Ausschlussverfahren darüber, was nicht zu ihr gehört? Etwa, wenn de Maizière sagt: »Wir sind nicht Burka.« Wie schon so viele seiner Vorgänger in der »Leitkultur«-Debatte erliegt der Innenminister der Versuchung, den Begriff deutschtümelnd aufzuladen. Genau das aber war ursprünglich gar nicht gemeint. Eine europäisch-abendländische »Leitkultur« im politikwissenschaftlichen Sinne bedeutet, dass eine Gesellschaft jedes ihrer Mitglieder gleich welcher ethnischen Herkunft als Träger unverbrüchlicher Rechte betrachtet. Diese aus der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abgeleiteten Rechte (die auch Pflichten nach sich ziehen) sind der Theorie nach in einem solchen Maße identitätsstiftend, dass sie Integration bei kultureller Vielfalt ermöglicht. Oder, wie es FDP-Chef Christian Lindner volkstümlich formuliert: »Leitkultur kann nichts zu tun haben mit Oktoberfest, Opernhaus und Sauerkraut, sondern mit Freiheit, Würde, Gleichberechtigung von Mann und Frau.« Folgt man dieser Definition, dann hat die Burka in Deutschland selbstverständlich nichts verloren, weil sie der Gleichberechtigung und der Menschenwürde Hohn spricht. Die Politik muss nur den Mut dazu haben, ein Verbot auch durchzusetzen. Ein positiv verstandener Patriotismus ist also alles andere als nationalistisch geprägt, sondern zieht seine Kraft aus der Überzeugung, für die richtigen Grundwerte einzustehen und diese auch zu verteidigen. Nur zur Erinnerung: Dazu zählen im Grundgesetz auch die Religions-, die Meinungs- und die Kunstfreiheit sowie vor allem das Gebot, die Würde des Menschen als höchstes Gut zu achten und zu schützen. Mal ehrlich: Da haben wir sie doch längst, die wahre »Leitkultur«.
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