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Westfalen-Blatt: ein Leitartikel zum Fall Lübcke

Bielefeld (ots)

Wer ein Muster sehen will, muss nicht lange suchen. Ein anderer Neonazi soll Stephan Ernst den Kontakt zum mutmaßlichen Waffenlieferanten verschafft haben. Von dem Mann aus Borgentreich im Kreis Höxter soll Ernst dann die Mordwaffe bekommen haben. Ob dieser Mann auch einen rechtsextremen Hintergrund hat, ist noch unbekannt. Der Vermittler jedoch soll Mitglied der Kasseler Neonazi-Szene und bereits 2006 im Zusammenhang mit dem Mord vernommen worden sein, der sich später als eine der NSU-Taten herausstellte. Wenn sich das alles bestätigt, muss es immer noch nicht heißen, dass der NSU durch Stephan Ernst quasi weiterexistiert. Kassel ist klein, da kennen sich auch die Neonazis untereinander. Aber schon diese ersten nachvollzogenen Verbindungen im Mordfall Walter Lübcke bestätigen, dass sich das Ausleuchten lohnt. Und lassen zudem weitere Zusammenhänge erahnen. Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte am Donnerstag, er halte den Rechtsextremismus »im Moment« für »brandgefährlich«. Der Gefährlichkeit kann man ohne Weiteres zustimmen, über die zeitliche Einschränkung lässt sich streiten. Im Sommer vergangenen Jahres bezifferte die Bundesregierung die Zahl der Todesopfer durch rechtsextrem motivierte Gewalttaten seit der Wiedervereinigung auf etwa 80. Zählungen von Medien und Privatinitiativen kommen auf das Doppelte und mehr. Schon die kleinere Zahl ist aber erschreckend genug. »Bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt es sicher noch Verbesserungsbedarf«, hatte Seehofer am Mittwochabend im ARD-Fernsehen eingeräumt. »Ich möchte jetzt nicht behaupten, dass alles Menschenmögliche getan wurde.« Das würde man ihm dann auch nicht glauben - obwohl die Ermittlungen im Fall Lübcke weiter erfreulich erfolgreich zu verlaufen scheinen. Der Verfassungsschutz stuft 24.100 Personen in Deutschland als rechtsextremistisch ein, davon gelten 12.700 als gewaltbereit. Es gibt also viel zu tun. Und es wäre auch keine Überraschung, wenn die Ermittler im Fall Lübcke auf weitere Bekannte stoßen würden. Dass die Behörden dabei alle Möglichkeiten nutzen können, sollte selbstverständlich sein - ist es aber nicht, denn ein Teil der Akten aus dem NSU-Verfahren ist unter Verschluss. Wie sagte dazu der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel: »Wer auf solche Gedanken kommt, muss nicht ganz bei Trost sein.« In der Tat sollten frühere Beschlüsse im Licht der neuen Erkenntnisse aufgehoben werden. Es gilt jetzt, dranzubleiben und so viel über rechtsextreme Strukturen offenzulegen wie irgend möglich. Das ist - leider buchstäblich - eine Frage von Leben und Tod.

Pressekontakt:

Westfalen-Blatt
Scholz Stephan
Telefon: 0521 585-261
st_scholz@westfalen-blatt.de

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