Westfalen-Blatt: ein Leitartikel zum Urteil im Lügde-Missbrauchsprozess
Bielefeld (ots)
Lange Gefängnisstrafen und anschließende Sicherungsverwahrung - mit seinem Urteil hat das Landgericht Detmold zwei Schwerverbrecher, die jahrzehntelang Kinder vergewaltigt hatten, für unabsehbare Zeit hinter Gitter gebracht. Erst wenn Gutachter irgendwann nach Verbüßung der Haft eine Ungefährlichkeit der Männer attestieren sollten, können sie hoffen, freizukommen. Dass der heute 56-jährige Andreas V. das erleben wird - das darf bezweifelt werden. Dieser Schuldspruch könnte auch jene besänftigen, die im Juli aufgeschrien hatten, nachdem gegen den dritten Täter nur eine Bewährungsstrafe verhängt worden war. Der Mann hatte aber auch selbst kein Kind angefasst, sondern aus der Ferne per Webcam beim Missbrauch zugesehen. Weil der überwiegende Teil des Prozesses unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand, ist es nicht einfach, sich ein Urteil über das Gericht zu bilden. Doch nach allem, was von den 18 Nebenklageanwälten und den beiden Verteidigern zu hören ist, müssen die drei Berufsrichterinnen und die beiden Schöffen ihre Sache gut gemacht haben. Ein wesentliches Ziel war es, den Kindern nicht mehr als unbedingt nötig zuzumuten, und das ist wohl erreicht worden. Von vielen Seiten wird die Vorsitzende Richterin Anke Grudda gelobt, die ihre Robe ablegte, vom Richterpodest stieg und sich neben die kleinen Opferzeugen setzte, um sie zu befragen. Dass der Prozess so glatt und in vergleichsweise kurzer Zeit über die Bühne ging, liegt auch an den beiden Strafverteidigern, die keine Konfliktstrategie fuhren. Sie sicherten die Rechte ihrer Mandanten, aber versuchten nicht, den Prozess mit Antragsfluten oder der inquisitorischen Befragung von Opfern in die Länge zu ziehen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Viele Hebel, um die Anklage aus den Angeln zu heben, hatten die Verteidiger nicht. Dafür hatte die Ermittlungskommission »Eichwald« einfach zu gründlich gearbeitet. Der Fall Lügde mit seinen ungezählten Behördenpannen hat einiges im Land verändert. In Jugendämtern und Polizeibehörden wird nicht mehr so gearbeitet wie noch vor einem Jahr, als der monströse Fall mit seinen mindestens 41 Opfern noch nicht bekannt war. Noch ist nicht alles gut in allen Amtsstuben, aber Aufarbeitung und Neuorganisation laufen. Der Fall Lügde war ein Weckruf, und wer den nicht hörte oder nicht hören wollte, wurde spätestens wach, als NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) Missbrauch und die sogenannte Kinderpornographie zu seinem Thema machte und hart durchgriff. Dass ein Kind einem alleinstehenden Mann zur Pflege anvertraut wurde, dessen pädophile Neigung in Behördenakten niedergelegt war, und dass Anzeigen gegen ihn nicht konsequent verfolgt wurden - das war ein Staatsversagen, das es nie wieder geben darf.
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