"Rhein-Neckar-Zeitung" (Heidelberg) über die Wahlen in den USA
Heidelberg (ots)
Die Demoskopen haben sich wieder geirrt. Statt zu einem überzeugenden Wahlsieg für den Demokraten Joe Biden ist es in den USA zu einer Hängepartie gekommen - die zur Nagelprobe für die amerikanische Demokratie werden könnte. Denn anders als die Vorhersagen für den Wahlausgang ist die Befürchtung wahr geworden, dass Donald Trump mit seinen wiederholten Behauptungen über Betrug bei der Briefwahl nur Vorkehrungen treffen wollte, das Wahlergebnis nicht anzuerkennen. Trumps Auftritt in der Wahlnacht, bei dem er sich vorzeitig zum Sieger erklärte und den Stopp der Stimmenauszählung forderte, stellt einen direkten Angriff auf den Kern der Demokratie dar, nämlich auf das Recht der Mitbestimmung. Natürlich sollte es niemanden mehr verwundern, dass der Präsident mit dem Faible für Autokraten, der weder ein Verhältnis zum Rechtsstaat noch zur Wahrheit bewiesen hat, seinen persönlichen Vorteil auch hier ohne Rücksicht auf Verluste durchzusetzen versucht. Weniger schwerwiegend wird der antidemokratische Vorstoß dadurch aber leider nicht. Denn neben Geduld braucht es in den USA in der derzeitigen Situation vor allem Vertrauen in die Institutionen und den demokratischen Prozess, um die Wahl fair und geordnet über die Bühne zu bringen. Auch die Akzeptanz jedes demokratischen Machtwechsels beruht auf diesem Vertrauen. Für Trump ist die Rechnung daher klar: Wenn er den Machtwechsel verhindern will, muss er das Vertrauen untergraben - koste es, was es wolle. Die verantwortungslose Zündelei zeigt zugleich, auf was sich Amerika und die Welt einstellen müssten, wenn Trump sich am Ende einer langen Schlammschlacht tatsächlich vier weitere Jahre im Amt sichern könnte. Der Schaden für das politische System und das internationale Ansehen des Landes wäre immens - zumal der Republikaner keinerlei Rücksicht auf eine mögliche Wiederwahl mehr nehmen müsste. Auch der westlichen Wertegemeinschaft würde das wohl den Todesstoß versetzen.
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