Ehemaliger Chefvolkswirt der EZB über Griechenlands Euro-Eintritt: "Ich habe die Täuschung persönlich erlebt. Jede Grundlage für Vertrauen wurde zerstört"
Köln (ots)
Jahrelang wurde über die Haushaltstricks in den Anfangsjahren des Euro kaum öffentlich gesprochen. Politiker und Finanzexperten waren offenbar von den frühen Erfolgen der Gemeinschaftswährung geblendet. In der ARD-Dokumentation "Der große Euro-Schwindel - wenn jeder jeden täuscht" sprechen zahlreiche Beteiligte der Euro-Einführung erstmals über die wilden politischen Manöver jener Jahre. Fazit des Films: Die führenden Politiker der Eurozone haben sich und andere getäuscht. Vor dem Hintergrund der andauernden Eurokrise zeichnet die ARD-Dokumentation (Ausstrahlung am Montag, 2. Juli um 22.45 Uhr im Ersten) den Weg Deutschlands und Griechenlands in die Eurozone detailliert nach. In bislang unbekannter Offenheit äußern sich auch damalige Mitglieder des Zentralbankrates der Deutschen Bundesbank. So übt etwa der frühere Bundesbank-Vorstand Franz-Christoph Zeitler deutliche Kritik am verfrühten Eintritt Griechenlands zur Währungsunion im Jahre 1999: "Wir hatten alle Zweifel. Griechenland war ja von sehr hohen Defiziten in relativ kurzer Zeit heruntergekommen. Wir alle hatten damals Zweifel an der Nachhaltigkeit der Datenlage und der Kriterienerfüllung Griechenlands." Die damalige Bundesregierung verzichtete darauf, ein Gutachten der Bundesbank zum Griechenland-Beitritt einzuholen. Franz-Christoph Zeitler, später Vizepräsident der Bundesbank, kritisiert daher die damals politisch Verantwortlichen: "Die Bundesregierung hatte nach meinem subjektiven Eindruck damals ein Interesse, die Diskussion um die Griechenlandkriterien möglichst niedrig zu halten und diesem Thema keine öffentliche Aufmerksamkeit beizumessen." Als 2004 herauskam, dass sich Griechenland den Beitritt zur Eurozone mit falschen Zahlen erschwindelt hatte, fühlten sich die Bundesbanker bestätigt. Franz-Christoph Zeitler: "Erst später haben wir erfahren, dass sie nicht nur richtige Daten verfälscht haben, sondern dass teilweise überhaupt nicht vorhandene Daten willkürlich eingesetzt worden sind." Und Otmar Issing, der damalige Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, berichtet von unangenehmen Treffen mit griechischen Finanzexperten: "Ich habe die Täuschung auch persönlich erlebt. Ich habe einmal einen Griechen auf eine Zahl angesprochen, und er schaute mir in die Augen und sagte ´Otmar, Du wirst mir doch glauben!' Da ist dann jede Grundlage für Vertrauen zerstört." Die ARD-Dokumentation zeigt aber auch, wie die deutsche Regierung bei der Euro-Einführung faule Kompromisse einging - und sich später nicht an die von ihr selbst geforderten Regeln hielt. Ob der jetzt geplante Fiskalvertrag für solidere Finanzen sorgen kann, ist ungewiss. In dem Film äußert sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble skeptisch: "Das ist eine qualitative Veränderung in der Stabilitätskultur in Europa, in allen Mitgliedsländern, die diesen Fiskalvertrag mit unterzeichnet haben - 25 von 27 europäischen Ländern. Und deswegen glaube ich, wir sind einen großen Schritt weiter vorangekommen. Aber die Hoffnung, dass in Zukunft Menschen sich immer zu hundert Prozent an selbst gesetzte Regeln halten werden, die habe ich nicht." "Der große Euro-Schwindel - wenn jeder jeden täuscht" Das Erste, 2. Juli 2012, 22.45 Uhr Autor: Michael Wech | Redaktion: Petra Nagel Fotos unter www.ard-foto.de
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