Medizinische Ernährung: Schwierige Situation für Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige
Leipzig (ots)
Medizinische Ernährung ist einerseits für Schwerkranke oft die einzige Chance zum Überleben, andererseits kann sie das Leiden von Sterbenden unnötig verlängern. Über diesen ethischen Konflikt, nämlich wann künstliche Ernährung beginnen und wann sie enden sollte, diskutierten heute (17. Juni) Mediziner, Ethiker und Theologen beim Symposium "Am Anfang zu wenig - am Ende zu viel?" während der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM) in Leipzig.
Die Ärzte waren sich dabei weitgehend einig, dass mit künstlicher Ernährung oft zu spät begonnen und damit die Chance versäumt wird, Genesung oder Lebensqualität der Patienten zu verbessern. "In der Endphase einer Tumorerkrankung wird dann manchmal vergeblich versucht, das Versäumte aufzuholen, obwohl die Ernährung möglicherweise dann mehr Belastung als Nutzen für den Patienten bedeutet", brachte es der DGEM-Präsident, Professor Dr. Arved Weimann, Leipzig, auf den Punkt.
Der Geriater Professor Dr. Cornel Sieber, Nürnberg, wies darauf hin, dass auch viele Hochbetagte unter Mangelernährung leiden. Sie falle Ärzten, Angehörigen oder Pflegekräften vielfach erst dann auf, wenn der Einsatz künstlicher Ernährung oft schon ethisch grenzwertig sei.
Für die zögerliche Entscheidung für oder wider künstliche Ernährung, die letztlich eine Entscheidung zwischen leben dürfen und leben müssen bedeutet, zeigte der Mainzer Medizin-Ethiker Professor Dr. Norbert W. Paul Verständnis. "Allgemeine Regeln können der Situation oft nicht gerecht werden." Hier müsste jeder Einzelfall abgewogen werden, betonte er auf der Veranstaltung, zu dem der Diätverband, der die Hersteller von Trink- und Sondennahrung vertritt, eingeladen hatte.
Dieser Position stimmte Christian Kolb zu. Der Pflegegutachter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen Bayern warb für eine frühzeitige Entscheidung "unter Berücksichtigung ethischer Prinzipien".
Prof. Dr. Ulrich Eibach, Ethikbeauftragter der Evangelischen Kirche im Rheinland, betonte, künstliche Ernährung sei bei kranken und pflegebedürftigen Menschen, "bei denen kein Sterbeprozess im weiteren Sinne vorliegt, oft eine medizinisch und ethisch gebotene lebenserhaltende und palliative Maßnahme, die keinesfalls in sich 'menschenunwürdig' ist oder nur ein angeblich 'menschenunwürdiges' Leben erhält. Ein Vorenthalten von Ernährung würde in diesen Fällen den Tod durch Verhungern oder auch Verdursten bewusst verursachen."
Ähnlich sieht dies auch Professor Dr. Armin Wildfeuer, der an der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen Philosophie lehrt. Er bewertet künstliche Ernährung insbesondere bei Patienten "im vegetativen Status", so bei Koma-Patienten, als "moralisch verpflichtend".
Dass die späte Einleitung von Sondenernährung auch mit den Ängsten der Ärzte vor Regressen und der Klinikverwaltungen vor hohen Kosten zu tun haben könnte, das deutete der Medizinrechtler Dr. Rainer Schütze aus Dortmund an. Für die Praxen der niedergelassenen Ärzte gelten Arzneimittelbudgets, in die auch künstliche Nahrung fällt und deren Überschreitung mit Regressen geahndet werde. In Kliniken müssten alle Kosten innerhalb der DRG-Pauschalen abgedeckt werden.
Die Diskussion zeige - so die Moderatorin und Medizinjournalistin Dr. Susanne Holst - wie vielschichtig das Spannungsfeld zwischen Ethik und künstlicher Ernährung sowie das Dilemma ist, vor dem Ärzte, Pflegekräfte und Angehörige immer wieder stehen. Es kann nach Überzeugung des Diätverbands nur im gesellschaftlichen Diskurs gelöst werden. Dazu sollte die Veranstaltung in Leipzig einen Beitrag leisten, betonte der Geschäftsführer des Verbands, Norbert Pahne.
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