Kölnische Rundschau: zu Karadzic
Köln (ots)
Nur der erste Schritt
BERND STADELMANN
Ein Massenmörder ist gefasst. Weit über ein Jahrzehnt haben Armee und Regierung in Belgrad ihn gedeckt. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Offensichtlich ist nach den blutigen Balkankriegen der Hass unter den Volksgruppen noch immer so tief, dass selbst Schlächter vom Schlage des einstigen Serbenführers Radovan Karadzic bis in die höchsten Kreise hinein auf schützende Kumpanei hoffen dürfen. Jedenfalls galt das bis zum Montag. Die neue Regierung, in der sich die europafreundlichen Kräfte durchgesetzt zu haben scheinen, sucht nach einer Annäherung an die EU - doch Erfolg dabei, soviel war klar, würde ihr nur beschieden sein, wenn sie die noch frei herumlaufenden Kriegsverbrecher an das Haager Tribunal ausliefern würde. Karadzic ist der erste, den es trifft. Ex-General Mladic, der andere Totengräber von Srebrenica, wird der nächste sein. Allerdings stellt sich doch sehr die Frage, ob mit der Überstellung zweier Schwerkrimineller bereits alle Hindernisse beiseite geräumt sind, die Serbien von den Europäern im Westen trennen. Durch die Straßen in Belgrad laufen Einwohner, die Karadzic als Helden hoch leben lassen. T-Shirts waren und sind im Handel, auf denen der Festgenommene wie ein Heros glorifiziert wird. Niemand im Fernsehen, in den Zeitungen oder gar im Schulunterricht käme bis heute auf die Idee, über den Schrecken zu informieren, den die serbische Soldateska angerichtet hat, als sie von den Hügeln um Sarajevo herab die Bevölkerung zusammenkartätschen ließ oder Massenvergewaltigungen inszenierte. Auch Srebrenica, das Massaker an 8000 Moslems, ist in Serbien kein Thema. Eine Aufarbeitung der Vergangenheit gab es bisher nicht. Sie ist auch nicht geplant. Solange das so bleibt, haben die Serben in der EU nichts zu suchen. Eine radikale Neuorientierung von Staat, Armee und Gesellschaft ist vonnöten - erst dann kann man ernsthaft daran denken, eine Mitglied schaft ins Auge zu fassen.
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