Tragik eines Theologen
Kommentar von Raimund Neuß zum Tod von Benedikt XVI.
Köln (ots)
Wie werden Historiker über Papst Benedikt XVI. urteilen? Wie viel Platz werden sie in ihren Darstellungen seinem Pontifikat einräumen, jenen knapp acht Jahren zwischen dem Tod des Jahrtausendpapstes Johannes Paul II. und der Wahl des liebenswürdig-chaotischen Reformers Franziskus?Groß waren die Erwartungen gerade in seinem Heimatland, als der erste deutsche Papst seit fünf Jahrhunderten (der Wahrheit die Ehre: Der bis dato letzte "Deutsche" Hadrian VI. war eigentlich Niederländer) sein Amt antrat. "Wir sind Papst", titelte die "Bild"-Zeitung, begeistert war im August der Empfang in Köln, und stramm konservative Jugendliche um den heutigen NRW-Staatskanzleichef Nathanael Liminski riefen bald eine "Generation Benedikt" aus. Gemessen daran konnte Joseph Ratzinger wohl nur scheitern.
Dabei musste der Kardinaldekan Ratzinger 2005 wissen, worauf er sich einließ. Seine Predigt zur Eröffnung des Konklaves enthielt ein Stellenprofil für jeden Kandidaten, der seine Unterstützung haben sollte: Klarheit in der Lehre, "idem velle, idem nolle", also stets das gleiche wollen und nicht wollen wie der von Ratzinger interpretierte Jesus von Nazareth. Das konnte nur sagen, wer bereit war, diese Ansprüche selbst einzulösen. Die Entscheidung lag auf der Hand: Ratzinger, der unter Johannes Paul II. in der Glaubenskongregation zweieinhalb Jahrzehnte lang definiert hatte, was katholisch sei, dieser Ratzinger sollte nun das Erbe seines Vorgängers antreten.
Der Papst Benedikt XVI. stieß jedoch an seine Grenzen. Der wohl bedeutendste katholische Theologe seiner Zeit musste bei seiner Regensburger Rede über Christentum und Islam feststellen, dass Gedankenexperimente zum religionsdiplomatischen Desaster geraten können. Der Gelehrte, der noch als Papst Bücher schrieb, scheiterte beim Versuch, Intrigen und Finanzmanipulationen im Vatikan in den Griff zu bekommen. Überschattet war sein Pontifikat, überschattet war auch sein Lebensabend von seiner Vergangenheit als Münchner Erzbischof, dessen Umgang mit sexualisierter Gewalt fatal nachlässig war. Bis zuletzt hat er sich dazu nicht wirklich angemessen verhalten.
Nun kann gerade im Scheitern historische Größe liegen. Zwar mündete Benedikts Rückzug in Schwierigkeiten. Die Position des "emeritierten Papstes" - er hatte sie länger inne als das Papstamt selbst - barg das ständige Risiko, in Konkurrenz zum neuen Amtsinhaber zu treten. Aber: Benedikt XVI. hat mit seinem Rücktritt auch seinen Nachfolgern neue Möglichkeiten eröffnet. Das macht ihn zu einem Beispiel für die Nachwelt.
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