Putins labile Herrschaft
Kommentar von Raimund Neuß zur Krise in Russland
Köln (ots)
Was für eine Blamage. Der russische Präsident Wladimir Putin, Oberkommandierender der angeblich zweitstärksten Armee der Welt, muss sich von seinem verachteten belarussischen Kollegen Alexander Lukaschenko retten lassen. In so einen Zustand hat der Krieg gegen die Ukraine die Atommacht Russland versetzt: Söldner einer Privatarmee, Untergebene des von Putin geförderten Mafiabosses Jewgeni Prigoschin, hatten es in nur einem Tag geschafft, Rostow zu besetzen und bis auf 200 Kilometer an Moskau heranzukommen. Und während simple Kriegskritik 25 Jahre Haft kosten kann, konnten Prigoschins Leute offiziell straffrei Hubschrauber abschießen und ein Dutzend Luftwaffensoldaten umbringen. Dass Prigoschin die Kriegsbegründung als Lüge entlarvt hatte: geschenkt.
Das ist das Bild eines gescheiterten Staates. Nichts ist damit gelöst, dass Prigoschin nun in Belarus hausen soll. Wird es trotz der verkündeten Amnestie Liquidierungen geben? Was wird denn aus seinen Söldnern, wem gegenüber werden sie loyal sein? Was wird aus Soldaten, die mit Prigoschin gemeinsame Sache gemacht haben? Was wird aus Prigoschin-Freunden wie General Sergej Surowikin, auch wenn der sich von den Putschisten distanzierte? Was wird aus der von Prigoschin bloßgestellten Militärführung um Verteidigungsminister Sergej Schoigu?
Ja, Prigoschin hatte sich verrechnet, hatte die Zahl seiner Unterstützer wohl überschätzt und vermutlich noch bei seinen den Putschversuch einleitenden Tiraden vom Freitag geglaubt, sein Gönner Putin werde weiter seine Hand über ihn halten. Denn die Aktion war ja anfangs gegen die etablierten Militärs, nicht gegen Putin gerichtet. Ihn, den eigentlichen Urheber des Ukraine-Desasters, wollte Prigoschin verschonen.
Aber erst recht verrechnet hat sich Putin, der jahrelang glaubte, seine Gefolgsleute - hier Prigoschin, da Schoigu - gegeneinander ausspielen zu können. Am Ende hat er sich erpressen lassen. Am Samstagmorgen kündigte er Durchgreifen gegen Verräter an, die einen Stoß, je nach Übersetzung: Dolchstoß in den Rücken des Volkes führten. Am Samstagabend musste er sie amnestieren. Das wird ihm nachhängen.
Putins Dolchstoß-Legende ist ein Verlierer-Narrativ, mit dem einst deutsche Nationalisten den Zusammenbruch am Ende des Ersten Weltkriegs erklärten und das er selbst jetzt auf die russische Niederlage in eben diesem Krieg 1917 bezog. Das ist nicht die Erzählung eines Mannes, der mit vermeintlich überlegenen Eskalationsmöglichkeiten spielt. Putin sucht vielmehr einen Weg, um dem Volk das Scheitern seiner irrwitzigen Eroberungspläne zu erklären, die nun seine eigene Herrschaft an den Rand des Zusammenbruchs gebracht haben.
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