Familienkultur heute
Eigene Wege gemeinsam gehen (BILD)
Bad Rodach (ots)
Mama, Papa und zwei Kinder - fertig ist die Standardfamilie? Früher vielleicht, heute definitiv nicht mehr. Familie wird mittlerweile in den unterschiedlichsten Varianten gelebt. Die klassischen Rollenbilder haben sich überlebt, viele Traditionen und Regeln ebenso. Kurz: Familien haben (mehr oder weniger) die freie Wahl, wie sie leben wollen - und müssen umgekehrt ihren individuellen Weg für ein glückliches Zusammenleben entwickeln. Eine eigene Familienkultur ist dafür eine wichtige Voraussetzung, sagen Expertinnen wie die Diplom-Pädagogin Gabriele Pohl, die die JAKO-O Initiative "Lasst Kinder einfach Kinder sein" unterstützt. Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff? Und vor allem: Wie können Familien ihre eigene Kultur entwickeln?
"Familienkultur steht nicht für ein starres Regelwerk oder ein Patentrezept", erklärt Gabriele Pohl, die das Kaspar Hauser Institut in Mannheim leitet. "Familienkultur ist eine ganz persönliche Sache. Sie ist etwas, was sich - genau wie die einzelnen Familienmitglieder - immer weiter entwickelt." Es gehe darum, in sich stark verändernden Zeiten neue Wege zu finden, um Kindern eine liebevolle, sichere Basis für das Leben zu bieten, aber auch Eltern zu entlasten, die sich oft zwischen eigenen und fremden Ansprüchen aufreiben.
Die große Herausforderung für Familien ist heute, dass es kaum Vorbilder gibt, an denen sie sich orientieren können. Viele der heutigen jungen Eltern sind noch mit sehr klassischen Rollen- und Familienbildern aufgewachsen: Der Vater ging arbeiten, die Mutter kümmerte sich um die Kinder und den Haushalt. Diese Welten waren weitgehend voneinander getrennt, alles war übersichtlich und jeder wusste, was er zu tun hatte. Kurz: Man lebte so wie alle anderen und die Gesellschaft gab vor, was normal war.
Familien verändern sich ebenso wie die Gesellschaft
Von diesen Normen ist nur noch wenig übrig. Familien leben nicht losgelöst von Zeit und Raum - sie verändern sich ebenso wie die Gesellschaft. Je vielfältiger die Gesellschaft wird, desto vielfältiger werden auch die Familienmodelle. Statt sich an dem zu orientieren, was die Gesellschaft (vermeintlich) erwartet, sind heute eigene Konzepte gefragt: Was passt zu uns als Familie? Was macht uns glücklich und zufrieden?
Gefordert seien vor allem authentische Mütter und Väter, so Gabriele Pohl. Gute Eltern müssen nicht stets gleichmütig, fröhlich und aufopferungsvoll sein - aber sie müssen "echt" sein und hinter dem stehen, was sie sagen und was sie tun. "Was erwarten wir eigentlich vom Familienleben? Was sind wir bereit, dafür zu opfern und wie wünschen wir es uns überhaupt, Familie zu leben?" - diese Fragen sollten sich Familien stellen, so Gabriele Pohl. Das Ziel sollte sein, die eigene Individualität zu bewahren, aber trotzdem für die anderen da zu sein, also gemeinsam eigene Wege zu gehen.
Für Eltern heißt das auf der einen Seite, wirklich ehrlich zu sein und darauf zu hören, was ihnen ihr Gefühl sagt. Die eine Mutter möchte länger bei ihrem Kind zu Hause bleiben, die andere möglichst schnell wieder zurück in den Job. Die einen Eltern geben ihr Kind mit sechs Monaten in die Krippe, für andere Eltern ist das undenkbar. Doch es zählt nicht, was andere denken oder sagen. Ausschlaggebend ist, ob man selbst mit seiner Entscheidung glücklich ist und ob das Kind damit zurechtkommt. "Wir müssen uns darüber klar werden, wie viel Erziehung wir Institutionen überlassen wollen und welche Rolle die Familie für Kinder spielen soll", erklärt die Diplom-Pädagogin.
Besser oder schlechter? Gibt es nicht!
Egal ob als Alleinerziehende, Regenbogenfamilie oder Großfamilie, ob als Working-Mom oder Vollzeitmutter - bei jedem Lebensentwurf treten Situationen auf, in denen man sich rechtfertigen muss. Fakt ist aber: Es gibt kein besser oder schlechter. Solange jedes Mitglied seinen festen Platz im Gefüge hat, solange es Rituale und andere Orientierungspunkte gibt, die Familienkultur ausmachen, bietet jede Art von Familienverbund Halt, Schutz und Geborgenheit. Für alle. Und zum Wohle aller.
Gabriele Pohl, Diplom-Pädagogin, ist als Kinder- und Jugendlichentherapeutin sowie Systemische Paar- und Familienberaterin tätig. Sie ist Gründerin des Kaspar Hauser Instituts für heilende Pädagogik, Kunst und Psychotherapie in Mannheim sowie des Projekts "Zwischenraum" für lebensnahes Lernen, Individualentwicklung und seelische Gesundung. Gabriele Pohl hält Vorträge und Seminare zu den Themen Erziehung, Familienkultur und Lebenskunst und hat jahrelange Erfahrung in der Erlebnispädagogik. Sie veröffentlicht Artikel in Fachzeitschriften und Fachbüchern und ist Autorin des Buches "Kindheit - aufs Spiel gesetzt. Vom Wert des Spielens für die Entwicklung des Kindes".
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