Drei Jahre nach Magdeburger "Kastenstandsurteil" werden Muttersauen noch immer rechtswidrig gehalten
"Report Mainz" am Dienstag, 10. September 2019, 21:45 Uhr im Ersten
Moderation: Fritz Frey
Mainz (ots)
Auch drei Jahre nach dem rechtskräftigen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg werden Muttersauen noch immer rechtswidrig in viel zu engen Kastenständen gehalten. Recherchen des ARD-Politikmagazins "Report Mainz" und der Umweltorganisation Greenpeace zeigen, dass es in der Haltung von Muttersauen nach dem Urteil kaum Veränderungen gab. In Kastenstände werden die Tiere zum Zeitpunkt der Besamung gezwängt und verbleiben dann für rund einen Monat in diesen Systemen. Während dieser Zeit können sich die Sauen nicht umdrehen und auch nicht in Seitenlage ausgestreckt hinlegen.
Tierschützer hatten in mehreren Schweinezuchtanlagen in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und auch in Mecklenburg-Vorpommern solche Kastenstandssysteme heimlich gefilmt. Die Aufnahmen liegen "Report Mainz" exklusiv vor. Sie dokumentieren: In allen gefilmten Betrieben werden Muttersauen noch immer in viel zu engen Kastenständen gehalten. Allein im Landkreis Ludwigslust-Parchim bei Schwerin hatten die Tierschützer in drei Sauenhaltungsbetrieben Verstöße gegen das Urteil dokumentiert. Auf Nachfrage von "Report Mainz" beim zuständigen Veterinäramt erhielt die Redaktion die Antwort: "Bei Vor-Ort-Kontrollen (...) wurden keine Verstöße festgestellt (...). Den Hinweisen werden wir durch erneute Kontrollen nachgehen."
Die Umweltorganisation Greenpeace, der das Bildmaterial zugespielt wurde, sieht hierin einen klaren Rechtsverstoß. Die Agrarexpertin der Organisation verweist insbesondere auf die Tierschutznutztierhaltungsverordnung von 1992 nach der die Tiere sich ungehindert ausstrecken können müssen.
Greenpeace-Agrarexpertin Stephanie Töwe sagt dazu im Interview mit "Report Mainz": "Wir wissen seit 1992, das sind 27 Jahre, dass Schweine so eigentlich nicht mehr gehalten werden dürfen. Also der Kastenstand müsste viel größer und vielmehr den Bedürfnissen der Tiere angepasst sein. Und er widerspricht auch dem Tierschutzgesetz. Also eigentlich gehört er abgeschafft." Der Mannheimer Strafrechtsprofessor Jens Bülte, der sich mit Tierschutzrecht befasst, kritisiert: "Man würde doch erwarten, dass spätestens mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, also innerhalb der letzten gut zwei Jahre, sich irgendetwas hätte tun müssen. Und das ist natürlich schon ein Armutszeugnis für eine Exekutive, wenn man eine Entscheidung, eine Auslegung von Recht und Gesetz, hat und die Behörden sagen, wir können es nicht umsetzen. Wir wollen es nicht umsetzen und legen die Hände in den Schoß. Also das lässt einen als Jurist wirklich verstört zurück."
Im Bundeslandwirtschaftsministerium wurde ein Referentenentwurf erarbeitet, mit dem die Haltung der Muttersauen in Kastenständen neu geregelt werden soll. Beobachter und Tierschutzverbände hatten nach dem "Kastenstandsurteil" auf ein Signal gehofft, dass nunmehr die Haltung in breiteren oder in anderen tierschutzgerechten Systemen geregelt werde. Doch nach dem nun vorliegenden Entwurf will das Bundeslandwirtschaftsministerium einen anderen Weg gehen: Zwar soll der Aufenthalt der Sauen im Kastenstand verkürzt werden, doch dies müssen die bestehenden Betriebe erst in maximal 17 Jahren umsetzen. Der Passus aus der noch gültigen Tierschutznutztierhaltungsverordnung nach dem die Tiere "ihre Gliedmaßen in Seitenlage austrecken können müssen" wurde dagegen komplett gestrichen.
Die Umweltorganisation Greenpeace sieht dies als Zeichen dafür, dass sich die Agrarlobby durchgesetzt hat. Greenpeace-Agrarexpertin Stephanie Töwe kritisiert: "Frau Klöckner passt also mit ihrem Referentenentwurf sozusagen die Gesetzgebung der Wirklichkeit an, anstatt die Wirklichkeit dem jetzt geltenden Gesetz anzupassen und mehr Tierschutz in die Ställe zu bringen." Auch der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, kritisiert den Referentenentwurf scharf: "Das ist eine klare Aushebelung jeder Rechtsordnung, und zwar aus rein ökonomischen Gründen."
Der Entwurf wird nun der Europäischen Kommission zur Notifizierung vorgelegt und muss danach im Bundesrat beschlossen werden.
Weitere Informationen finden Sie auf unter http://x.swr.de/s/10tm
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