Eine Pressemitteilung des Rundfunkrats // WDR-Rundfunkrat: "Demokratische und gesellschaftliche Funktion des Rundfunks in der konvergenten Medienwelt sichern"
Köln (ots)
Der WDR-Rundfunkrat hat in seiner Sitzung am 1. März 2013 eine vom Ausschuss für Rundfunkentwicklung eingebrachte Stellungnahme zum Connected-TV einstimmig verabschiedet.
Ruth Hieronymi, Vorsitzende des WDR-Rundfunkrats, erklärt: "Rundfunk ist gleichermaßen Wirtschafts- und Kulturgut und übernimmt für die Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt und damit die demokratische Entwicklung der Gesellschaft eine herausragende Funktion. Deshalb unterliegt Rundfunk auch einer eigenständigen Regulierung, die diesem Doppelcharakter Rechnung trägt und es Rundfunkveranstaltern ermöglicht, sich mit Angeboten der Information, Bildung und Unterhaltung an die Allgemeinheit zu richten. Um diese besondere Position des Rundfunks auch in der konvergenten Medienwelt zu erhalten, muss beim Connected-TV die geltende medienspezifische Regulierung in Deutschland und Europa für die Zukunft gesichert und weiterentwickelt werden."
Für den WDR-Rundfunkrat muss beim Connected-TV für Rundfunkveranstalter ein diskriminierungsfreier Zugang zu Infrastrukturen, Plattformen und Portalen gewährleistet sein, damit der gesetzliche Auftrag zur Meinungsbildung und -vielfalt entsprechend erfüllt werden kann. Die Rundfunkanbieter brauchen die rechtlichen Voraussetzungen, um den Nutzerinnen und Nutzern ihre Inhalte diskriminierungsfrei, leicht auffindbar und vollständig zur Verfügung stellen zu können.
Der Vorsitzende des Ausschusses für Rundfunkentwicklung, Horst Schröder, ergänzt: "Die Belange des Rundfunks sind beim Connected-TV angemessen zu berücksichtigen. Da der Rundfunk in den Verantwortungsbereich der Länder fällt, sind diese aufgefordert, die Interessen des Rundfunks im Rahmen der Gestaltung des zukünftigen Regulierungsrahmens beim Connected-TV gegenüber Bund und Europäischer Union entsprechend zu vertreten."
Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter http://www.wdr.de/unternehmen/gremien/rundfunkrat/resolution.jsp
Besuchen Sie auch die Seite des Rundfunkrats im Internet: www.wdr-rundfunkrat.de
Stellungnahme des Ausschusses für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrats zum Connected-TV (Einstimmig vom WDR-Rundfunkrat in der 546. Sitzung am 1. März 2013 verabschiedet)
Connected-TV, begrifflich auch mit Hybridfernsehen oder Smart-TV gleichzusetzen, scheint auf den ersten Blick vor allem technologische Aspekte und Fragen zu betreffen. So wird unter Connected-TV der Empfang audiovisueller Inhalte über hybride Fernsehgeräte, die neben dem Empfang von Rundfunksignalen über Kabel, Satellit, Antenne bzw. IPTV auch Inhalte und Dienste aus dem Internet empfangen und abbilden können, verstanden. Ebenfalls wird von hybriden Empfangsgeräten gesprochen, wenn das TV-Gerät zwar nicht selbst internetfähig ist, aber an ein weiteres Gerät angeschlossen ist, über das wiederum eine Verbindung zum Internet hergestellt werden kann (z.B. Set-Top-Box, Spielekonsole). Über solche hybride Endgeräte sind Fernseh- und Internetinhalte sowie eine Vielzahl weiterer Kommunikationsdienste über ein- und denselben Bildschirm verfügbar. Eine Endgeräte- und Inhaltekonvergenz lässt ein multimediales Fernseherlebnis entstehen, dessen Nutzung derzeit noch verhältnismäßig gering ist. Allerdings ist für die Zukunft von einem steigenden Interesse an hybriden Geräten und der Nutzung von multimedialen Angeboten auszugehen. (FN 1) Über die technologische Dimension hinaus wirft Connected-TV wichtige regulatorische Fragen auf. Denn nun treffen verschiedenste Anbieter und Angebote, beispielsweise Inhalte des linearen Fernsehens, die strengen inhaltlichen Regulierungen wie dem Jugendschutz, den Programmgrundsätzen und den Werberegelungen unterliegen, und Internetinhalte, für die zum Teil deutlich reduzierte Regulierungen gelten, auf einem Bildschirm zusammen. Frage ist, welcher Regulierungsrahmen beim Connected-TV dann zukünftig maßgeblich ist.
Für den (öffentlich-rechtlichen) Rundfunk ist Connected-TV mit Chancen, Herausforderungen und zugleich Gefahren verbunden. Chancen liegen insbesondere in einer Erweiterung der Angebotsvielfalt für die Zuschauer/innen und den Möglichkeiten einer interaktiven Teilhabe an den Angeboten, der Vereinfachung des Zugangs zu Internetinhalten und in neuen Möglichkeiten für die Programmveranstalter, Inhalte zu präsentieren. So bieten hybride Systeme auch die Chance, die Stärken von Rundfunk und Internet zu verbinden. Andererseits stellt Connected-TV den (öffentlich-rechtlichen) Rundfunk vor große Herausforderungen und lässt die Frage aufkommen, wie das für ihn geltende medienspezifische Sonderrecht zukünftig in einer konvergenten Medienwelt gesichert und weiterentwickelt werden kann. Rundfunk übernimmt für die Informationsfreiheit und Meinungsvielfalt und damit die demokratische Entwicklung der Gesellschaft eine herausragende Funktion. Rundfunk unterliegt einer eigenständigen Regulierung, die seinem Doppelcharakter Rechnung trägt und es ihm ermöglicht, sich mit Angeboten der Information, Bildung und Unterhaltung an die Allgemeinheit zu richten.
Bei der Debatte um Connected-TV geht es für den Rundfunk, für den öffentlich-rechtlichen ebenso wie für den kommerziellen, somit um den Erhalt und die Sicherung seiner Position als Kultur- und Wirtschaftsgut in einer konvergenten Medienwelt.
Im Einzelnen bezieht der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat wie folgt Stellung:
Connected-TV-Plattformen werden zu Gateways verschiedenster Inhalte und Dienste. So entsteht ein Gatekeeping-Problem, da auch Plattformbetreiber und Gerätehersteller Entscheidungskompetenzen darüber erlangen, ob ein bestimmter Inhalt verfügbar und leicht auffindbar ist. Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat hält es daher für erforderlich, offene, diskriminierungsfreie und interoperable technische Verfahren, idealerweise auf Grundlage europäischer Standards, einzuführen, die zur Lösung der Gatekeeping-Problematik beitragen. Deshalb spricht sich der Ausschuss/WDR-Rundfunkrat nachdrücklich für die offene Technologie HbbTV (Hybrid broadcast broadband TV) aus, die eine entsprechende Verknüpfung zwischen der Rundfunk- und Onlinewelt sicherstellt.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat sieht es für notwendig an, für Rundfunkveranstalter einen diskriminierungsfreien Zugang zu Infrastrukturen, Plattformen und Portalen zu gewährleisten, um dem gesetzlichen Auftrag zur Meinungsbildung und -vielfalt entsprechend nachkommen zu können. Rundfunkveranstalter benötigen Voraussetzungen, um den Nutzern/innen ihre Inhalte diskriminierungsfrei, leicht auffindbar und vollständig zur Verfügung stellen zu können.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat ist der Meinung, dass beim Connected-TV die Integritäten von Inhalten und Sendesignalen zu gewährleisten sind. So sollte eine Bildüberlagerung durch Inhalte Dritter, wie beispielsweise Werbung, nur auf Entscheidung der Nutzer/innen möglich sein. Einblendungen und/oder Überblendungen beim Sendesignal dürfen nur mit Zustimmung des Rundfunksenders vorgenommen werden.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat sieht es mit Sorge, dass es auf europäischer Ebene Bestrebungen für eine Liberalisierung der Inhalte- und Zugangsregulierung gibt, ohne dass diese Fragen geklärt sind. Der Rundfunk läuft so Gefahr, seine eigenständige Regulierung, die seinem besonderen Charakter und der Bedeutung als Wirtschafts- und Kulturgut Rechnung trägt, zu verlieren. Vielmehr ist die Anerkennung von audiovisuellen Medieninhalten als Kultur- und Wirtschaftsgüter gleichermaßen in einer konvergenten Medienwelt sicherzustellen.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat empfiehlt, den Regulierungsansatz der Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie (AVMD-Richtlinie) bei Connected-TV beizubehalten. Das abgestufte Regulierungssystem sichert im EU-Recht und in der Folge auch im deutschen Recht einen bestimmten Mindeststandard für klassische Fernsehinhalte und für Telemedienangebote mit einer Meinungsbildungsrelevanz unabhängig von der Übertragungstechnologie. Nach Auffassung des Ausschusses/WDR-Rundfunkrats sollte aber über die Novellierung der quantitativen Werbevorschriften im linearen Bereich nachgedacht werden. (FN 2)
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat sieht es als notwendig an, die Plattformregulierung weiterzuentwickeln. Der Begriff des Plattformanbieters sollte zukünftig auch die Endgeräteindustrie und hybride Plattformen umfassen. Denn wer maßgeblich Meinungs- und Angebotsvielfalt mitbestimmt, muss auch den Regulierungen zu deren Sicherung unterliegen. So sollten die Regelungen des Rundfunkstaatsvertrags zur Plattformregulierung (§ 52 a ff.) auf hybride Empfangsgeräte, einschließlich Portale von Endgeräteherstellern, erweitert werden.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat unterstützt Aspekte des Berichtsentwurfs des Ausschusses für Kultur und Bildung des Europäischen Parlaments über Hybridfernsehen ("Connected TV") vom 31. Januar 2013. Hierbei ist die Forderung zu begrüßen, dass beim Connected-TV vorhandene 'Must-Carry-Regelungen' durch 'Must-be-found-Regelungen' ergänzt werden sollen. Der Ausschuss/WDR-Rundfunkrat schließt sich somit der Meinung an, Inhalteanbieter, die einen öffentlichen Auftrag haben, sollten eine angemessene Vorrangstellung bei der Auffindbarkeit auf hybriden Plattformen erhalten.
Der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat fordert, die Belange des Rundfunks beim Connected-TV angemessen zu berücksichtigen und die demokratische und gesellschaftliche Funktion des Rundfunks auch in einer konvergenten Medienwelt zu sichern. Da der Rundfunk in den Verantwortungsbereich der Länder fällt, bittet der Ausschuss für Rundfunkentwicklung/WDR-Rundfunkrat diese, die Interessen des Rundfunks im Rahmen der Gestaltung des zukünftigen Regulierungsrahmens beim Connected-TV gegenüber Bund und EU entsprechend zu vertreten.
Fußnote (FN) 1: Nach dem Digitalisierungsbericht 2012 hat jeder sechste deutsche TV-Haushalt (16,5 Prozent) bereits die Möglichkeit, Connected-TV nutzen. Verbreitet sind sowohl internetfähige TV-Geräte (9,6 Prozent) als auch hybride Spielkonsolen (7,3 Prozent). Mit dem Internet verbunden sind allerdings nur knapp die Hälfte dieser Geräte, die tatsächliche Nutzung ist also derzeit noch verhältnismäßig gering. Folgt man aber Prognosen, werden in rund fünf Jahren gut ein Drittel aller Haushalte die auf einem Bildschirm angebotenen multimedialen Angebote nutzen.
Fußnote (FN) 2: Hinweis: Der besondere Charakter der Medien als gleichermaßen Kultur- und Wirtschaftsgut ist auch auf europäischer Ebene festgeschrieben und somit Basis des geltenden Rechts. In der AVMD-Richtlinie (Artikel 1 Abs. 1 Buchstabe a Ziffer i.) ist die Meinungsrelevanz durch die Festlegung des Anwendungsbereichs auf redaktionelle Inhalte das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen audiovisuellen Mediendiensten und anderen Diensten.
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