ZDF-Programmhinweis
Mittwoch, 5. Mai 2010, 1.00 Uhr, Megacitys
Lagos - Das tägliche Wunder
Mainz (ots)
Mittwoch, 5. Mai 2010, 1.00 Uhr Megacitys Lagos - Das tägliche Wunder Film von Walter Heinz
"Niemand kann mit uns mithalten. Wir haben mehr Energie, besseren Geschäftssinn, auch mehr Geld als irgendwer sonst in Afrika." Ernest Shonekan sagt es im Park seiner Villa, von Marmorskulpturen und farbenprächtigen Pfauen umgeben, und er meint es ernst. Der 71-jährige Chef eines Wirtschaftsimperiums ist in Lagos geboren und alt geworden. Er liebt seine Stadt. Auf die Frage, wie reich er sei, antwortet der Dollarmilliardär: "Mir selber hat nie etwas gefehlt im Leben, aber meiner Stadt fehlt noch so manches."
Man kann Lagos erleben, oder, je nach Betrachterstandpunkt, auch erleiden. Zirka 17,5 Millionen Menschen leben, drängen, schubsen sich in den Straßen und Gassen. Die Stadt bricht wohl alle Rekorde Schwarzafrikas, gute wie schlechte. Nirgendwo sonst in Afrika fahren so viele Luxusautos, Mercedes, Rolls Royce, Lexus, keine Gebrauchtautos, brandneu, mit verdunkelten Scheiben. Das im Nigerdelta sprudelnde Öl macht Milliardäre, die ihren Reichtum ohne Scheu zeigen. Die Luxus-Villen auf Victoria Island und Ikoyi, oft mit einer Hubschrauber-Plattform, sind wahre Paläste. Die 30-Meter-Yachten davor sind weltmeertüchtig, in den Casinos von Victoria Island werden Vermögen gewonnen oder verspielt. Dass das Geld dafür "schwarzes Geld" ist, veruntreute Ölmilliarden, regt in Lagos keinen sonderlich auf. Was zählt, ist der Erfolg, nicht der Weg dahin.
Über Dutzende Kilometer Atlantikküste erstrecken sich Afrikas größte Neubaugebiete. Luxus-Appartements, Supermärkte, Bürovillen entstehen auf frisch auf-geschüttetem Sand. Es sind gigantische Geldwasch-Anlagen. Die heimlichen Herrscher Nigerias, eine Handvoll allmächtiger Generäle, lassen mit Schwarzgeld bauen, verkaufen dann und transferieren das so gewaschene Geld auf Geheimkonten ins Ausland. Je mehr Ölgeld auf diese Weise verschwindet, desto weniger hat die Stadt selbst. Und so bricht sie weitere, aber eher traurige Rekorde.
Die Verkehrsstaus in anderen Megacitys der Welt mögen lang sein - die von Lagos sind länger, stickiger, hoffnungsloser. Zu jeder Tages- und Nachtzeit wälzen sich, kriechen Blechlawinen in alle Himmelsrichtungen, wir brauchten einmal drei Stunden für sechs Kilometer Stadtfahrt.
Seit den 70er Jahren, als die Firma Julius Berger hier Afrikas längste Brücken und Autostraßen baute, blieb Lagos' Verkehrsnetz unverändert. Die Autozahl stieg ums Zehnfache. Ein so genannter Masterplan zur Entkrampfung der Stadt wurde in den 80ern von Putschgenerälen auf ewiges Eis gelegt. Erst jetzt soll er wiederbelebt werden, aber das würde - gänzlich fehlende - Milliarden im Stadt-budget kosten. So können Geschäftsleute heute nicht mehr als einen Auswärtstermin täglich wahrnehmen, und ein paar Millionen Pendler zwischen Victoria Island und dem Festland, eine Armee armer Straßenhändler, Hausangestellter, Lastenträger und Bauhandlanger verbringen sechs Stunden täglich in überfüllten Uralt-Minibussen.
140 Millionen Einwohner hat Nigeria, Afrikas bevölkerungsreichstes Land, und "alle", sagt uns der Verantwortliche für Stadtplanung, "zieht es nach Lagos, weil man nur hier Geld verdienen kann". 6000 Neuzugänge jeden Tag kommen aus der Provinz nach Lagos. Sie schlafen unter den Lagunenbrücken oder machen die über 100 übervollen Slums der Stadt noch voller. Das ZDF-Team war im Slum von Ajegunle: Kein Trinkwasser, kein Strom, überfüllte Ein-Raum-Behausungen - so sind Afrikas Slums. Aber für Ajegunle gilt ein anderes, einziges Wort: Müll. Die Menschen dort leben im Müll, gehen über Müll, sterben daran.
Eine UNO-Studie nannte Lagos einmal das "Antimodell" der Zukunft, eine Megastadt, wie sie nicht sein sollte, weil zum Untergang verurteilt. Die Studie irrte wohl. Sie rechnete mit Statistiken, nicht mit den Menschen in Lagos. Einmal im Monat stehen die Märkte der Stadt still, von 7.00 bis 10.00 Uhr morgens fährt kaum ein Auto. Da räumen die Einwohner selber auf, holen den Schlamm aus den verstopften Abwassergräben, verbrennen Müll, kehren vor ihrem Haus. Es begann vor zwei Jahren, als nichts mehr ging in der Stadt. "Die Oberen tun nichts", sagt uns John, ein kleiner Geschäftsmann, "also machen wir es selber". Straßenkomitees, die für Ordnung und Sicherheit sorgen, Architekten, die über Slumsanierung nachdenken, sogar Milliardäre, die "aus Selbstschutzgründen", wie sie sagen, in Stadtsanierung investieren - es gibt Hoffnung in und für Lagos. Und zum ersten Mal seit Jahrzehnten sucht die neugewählte Bundesstaat-Regierung nach Lösungen. In nur drei Jahren will sie, sagt uns ein feuriger Stadtarchitekt, den Moloch Lagos in wirtschaftsautonome Einzelstädte aufgliedern. Schon gibt es die ersten Straßenlampen und Blumenrabatte im Stadtzentrum. "Wir müssen es schaffen, und der Westen, seine Investoren, sollten uns helfen", sagt der neue Gouverneur. "Denn wenn es Lagos schlecht geht, geht es ganz Westafrika schlecht. Und damit würdet ihr Europäer auch Probleme kriegen."
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