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Dienstag, 30. Juli 2002, 22.45 Uhr
Dienstag, 6. August 2002, 22.45 Uhr
37°

Mainz (ots)

Dienstag, 30. Juli 2002, 22.45 Uhr
37°
Der Verräter
   Ein Neonazi-Aussteiger lebt gefährlich
   Film von Broka Herrmann
"Kopf ab, Kopf ab" schreit die Menge in einem Bürgerhaus von
Schwerin. Geballte Fäuste recken sich in die Luft. Die entblößten
Oberarme geben eintätowierte Hakenkreuze und SS-Runen frei. Eine
Hundertschaft Polizei hat alle Hände voll zu tun, um den Mann
unbeschadet aus dem Saal zu geleiten, dem der abgrundtiefe Hass gilt.
Jörg Fischer ist ausgestiegen aus dem braunen Sumpf und stellt
sich seitdem den alten Kameraden in den Weg. Jahrelang war er einer
der ihren, hat für die NPD und DVU im Funktionärsbereich gearbeitet.
Er war Zeitungsredakteur und Ideologe der Neonazis. Er kennt die
Verknüpfungen zwischen Altnazis, Wölfen im Schafspelz und Skinheads.
Jörg Fischer zog einen Schlussstrich. Nicht nur, weil er
erschreckt wahrnahm, wie seine Hetzpropaganda zu brennenden
Asylheimen und gnadenloser Verfolgung politisch Andersdenkender
führte. Ein zweiter Grund war seine Homosexualität, die er bei den
Rechtsradikalen verstecken musste. Er ist Intimkenner der Naziszene,
weiß, wie VS-Agenten angeworben werden, was sie mit dem Geld gemacht
haben, kennt die Brutalität der Szene und die Drogen, mit denen sich
die brutalen Schläger aufpeitschen.
Jörg hatte sich jahrelang im privaten Bereich versteckt,
verarbeitete seine Vergangenheit in einem Buch und wagte sich erst
vor wenigen Monaten aus der Deckung. Sein Lebensweg hat jetzt eine
Wende erfahren, die schärfer kaum ausfallen kann. Er stellt sich den
alten Kameraden, versucht mit Informationsveranstaltungen und
öffentlichen Auftritten gegen die Neonazis zu argumentieren, auch
wenn er stets Gefahr läuft, von ihnen körperlich attackiert zu
werden. Die Bedrohung geht bis zu Steckbriefen im Internet, wo er als
"Judas" und "Verräter" gejagt wird. Wo er hinkommt, gibt es nicht
selten Bomben- und andere Morddrohungen. Jörg Fischer will
offensichtlich wieder etwas gut machen. Sein Mut zur Konfrontation
führte ihn sogar in die Höhle des Löwen. Er wagt sich in die
Skin-Treffs der NPD-Hochburgen und kommt nur wegen unserer laufenden
Fernsehkamera oder gar unter Polizeischutz wieder heil heraus.
Jörg Fischer sucht aber nicht nur auf der politischen Ebene seine
neue Identität. Auch ganz privat und persönlich, will er nun wissen,
wie er in diesen rechtsradikalen Strudel hineingeriet. Die
Spurensuche führt ihn vom Nürnberger Sozialamt, wo er von einem
Sachbearbeiter als Minderjähriger für die NPD geworben wurde, zu
seinem Vater, der die Familie vor 28 Jahren verlassen hat. Auf der
Suche nach ihm entdeckt er das verletzte Kind, das er einmal war.
Jörg Fischer verkörpert auf tragische Weise den vaterlosen
Jugendlichen, dem das Völkische die Familie ersetzte und ein "Führer"
den Vater. So sehr die Konfrontationen mit den alten Kameraden das
Gruseln lehren, so bewegend ist diese Suche nach dem verlorenen
Vater, in der sich Hass und Sehnsucht mischen. Beides gehört zu einem
Drama: die Schatten der Vergangenheit zu bannen und ihre Brüche zu
heilen. Es ist auch das Drama eines "verlorenen Sohnes", der es
schwer hat, in der Gesellschaft wieder Fuß zu fassen.
anschl.
37°plus - Die Diskussion: Der verlorene Sohn
   mit Michael Steinbrecher
Verfolgt von den "alten Kameraden", findet der zurückkehrende
"verlorene Sohn" in der Gesellschaft keineswegs wieder freudige
Aufnahme. Im Gegenteil tut sie oft alles, was verhindert, dass er
wieder Fuß fassen kann. Aussteiger aus dem "braunen Sumpf" bleiben
gezeichnet und ausgegrenzt. Angesichts der zunehmenden
rechtsradikalen Mentalität bei Jugendlichen - allein 2001 gab es rund
10000 Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund - ist dies ein
ebenso brennendes wie wenig beachtetes Problem. Michael Steinbrecher
erörtert es mit Kennern der Szene. Dabei werden auch die Psychologie
des Neonazitums und die Bedingungen einer Umkehr zur Sprache kommen.
Dienstag, 6. August 2002, 22.45 Uhr
37°
Erschießt alle!
   Die sonderbare Welt der Computerkrieger
   Film von Francesca D'Amicis
Steffen Arndt ist Zivildienstleistender in Dortmund. Er gilt als
sanft, intelligent und kontaktfreudig. Im Internet aber wird aus dem
gutmütigen Steffen ein gefürchteter Krieger. Mehrere Stunden am Tag
erschießt der Einser-Abiturient, den man in der Szene unter seinem
Pseudonym "Hellwoofer" geradezu verehrt, alles, was sich in seinen
Weg stellt. Steffen ist ein Meister des Computerspiels
"Counterstrike".
Das weltweit beliebteste Online-Spiel ist spätestens seit der
Tragödie von Erfurt zum Streitobjekt geworden: Auch der Amokläufer
des Gutenberg-Gymnasiums war ein begeisterter "Counterstrike"-Spieler
und seine Vorgehensweise beim Anschlag habe Elemente des
Computerspiels nachgeahmt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende
Schriften hat - wenige Wochen nach Erfurt - einen Verbotsantrag gegen
"Counterstrike" zwar abgelehnt. Eltern und Pädagogen bleiben jedoch
skeptisch. Zur Welt der Online-Gamer haben sie keinen Zugang.
Allein in Deutschland beteiligen sich täglich bis zu 500 000
Begeisterte an dem virtuellen Gegenschlag einer Anti-Terror-Einheit
gegen ein Terroristen-Komman-do. Gewonnen hat, wer zuerst alle
Figuren des Gegners massakriert hat. Aber "Counterstrike" wird nicht
nur per Internet, sondern mit Vorliebe auf so genannten LAN-Parties
gespielt, wo Tausende von Computern miteinander vernetzt werden. Es
spielen dann zwei Teams mit je fünf Spielern simultan gegeneinander.
"37°" war zu Gast bei der größten deutschen
"Counterstrike"-LAN-Party in Göttingen. Über 2000 Jugendliche,
darunter nur wenige Mädchen, haben drei Tage in einer Turnhalle auf
Matratzenlagern verbracht, um das beste Anti-Terror-Kommando zu
ermitteln. 37° hat teffen Arndt mit seiner favorisierten Mannschaft
"Mortal Teamwork" beobachtet. Ein Trip in die unbekannte Welt von
"Hellwoofer" und Hunderttausenden von jungen
"Counterstrike"-Kriegern.
anschl.
37°plus - Die Diskussion: Virtuelle Gewalt
mit Michael Steinbrecher
Bei den "Counterstrike"-Spielern handelt es sich meist um
Abiturienten, Zivildienstleistende oder BWL-Studenten, die mit
Rechtsradikalen oder Wehrsport-Fans nichts gemein haben. Der "Mortal
Teamwork"-Spieler Steffen Arndt hat eine bildungsreiche Erziehung
genossen. Der Vater ist in Dortmund Hochschulprofessor.
Michael Steinbrecher diskutiert in "37° plus" mit Vater und Sohn
über virtuelle Gewalt und lässt sich die Faszination der
blutrünstigen Computerspiele erklären. Die in hyper-realistischer
Computer-Grafik von "Counterstrike" dargestellten Gewalt-Szenen, die
die Spieler interaktiv in Gang setzen, sind Spielern wie Steffen
"nicht so wichtig". Es gehe um Dynamik und faszinierende Spannung des
Spiels - und die Grafik-Funktion des spritzenden Blutes aus
getroffenen Figuren werde von guten Spielern sogar oft abgestellt.
Allerdings nicht aus Pietätsgründen, sondern weil das Spiel ohne
Blutspritzen schneller läuft.
Den Gewalt-Aspekt, die bluttriefenden Details der Spiel-Grafik,
das makabre Thema des Spiels - zu all diesen Punkten gibt es jedoch
noch etliche offene Fragen.

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06131 / 70-2120 und -2121

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