Das Erste
Mittwoch, 07. Juni 2000, 23.00 Uhr bis 00.30
"Mein liebster Feind"
Ein Film von Werner Herzog
Köln (ots)
"Jesus hat eine Peitsche genommen und ihm in die Fresse gehauen!...du dumme Sau!" Zwei riesige stechende Augen und eine der charakteristischsten Mundpartien, die je eine Schauspielervisage ausgezeichnet hat, giften von der Bühne herunter.
Klaus Kinski war für seine kolossalen, frenetischen Wutausbrüche berüchtigt. Immer wenn er sich in seinem unberechenbaren Perfektionismus beleidigt sah, suchte er sich ein Opfer - mal den Kameraassistenten, mal einen Statisten - um seine hohe Kunst der Tobsucht an ihm auszuleben.
Es gab vielleicht nur einen Einzigen, der die genialische Wut des Schauspielers zulassen und zugleich bändigen konnte: den Regisseur Werner Herzog. Fünf Filme drehte er mit Kinski in der Hauptrolle. Durch die Symbiose, die dabei zwischen ihnen entstand, durch ihre Hassliebe, wurden beide berühmt. Sie waren das Duo Infernale des deutschen Films.
Fast zehn Jahre nach Kinskis Tod hat sich Werner Herzog noch einmal auf die Spuren ihres gemeinsamen Wirkens begeben. An den früheren Drehorten erzählt er aus seiner Perspektive und voller subtiler Ironie die Höhe- und Tiefpunkte ihrer Zusammenarbeit. Dazwischen zeigt er immer wieder Filmausschnitte und Aufnahmen von Dreharbeiten und erinnert sich gemeinsam mit Claudia Cardinale und Eva Mattes an Kinskis "Kehrseiten", seine Fähigkeit zur emotionalen Wärme und Zärtlichkeit.
Kennen gelernt haben sich Herzog und Kinski in München, wo der 13-jährige Herzog durch Zufall auf derselben Etage wie der junge Theaterschauspieler wohnte. Mit einem schüchternen Lächeln auf dem Gesicht erzählt Herzog dem heutigen, höchst distinguierten Besitzer der Wohnung, wie Kinski damals das Bad zertrümmerte, Türen eintrat und wilde Zuckungen bekam, wenn die Wirtin, die ihn aus Großmut umsonst dort wohnen ließ, seine Hemdkrägen nicht ordentlich genug gebügelt hatte. Herzog hätte sich nicht träumen lassen, dass er einmal mit diesem Monstrum zusammen fünf Filme drehen würde.
Ein Ausschnitt aus dem Spielfilm "Fitzcarraldo": Kinski sitzt, umringt von Indianern, mit misstrauisch rollenden Augen zu Tische, während in seinem Rücken ein Häuptling über ihn spricht. In der Dokumentation erzählt Herzog, dass derselbe Häuptling nach den Dreharbeiten ihm, vor dessen Ruhe die Indianer mehr Respekt verspürten, angeboten hätte, den Tobsüchtigen zu töten - Herzog lehnte dankend ab. Er selbst allerdings war es, der ein andermal Kinski durch Mordandrohung daran hinderte, die Dreharbeiten abzubrechen. Kinski schrie sofort nach der Polizei - mitten im Urwald - aber er blieb und arbeitete fortan diszipliniert weiter.
Ich kann durch ihn hindurchsehen wie durch Wasser, verrät Herzog. Warum sie zusammenarbeiten, werden sie auf einem Festival gefragt. Weil er verrückt ist, erwidert Kinski sofort, genauso wie ich.
Das unausgesprochene gemeinsame Einverständnis, so weit zu gehen wie möglich, der Größenwahn, den sie sich gegenseitig bescheinigten, kettete sie aneinander. Heute erinnert sich Herzog seines geliebten Feindes, dessen Ausstrahlung von "bedingungsloser Professionalität" ihm manchmal fehlt.
Fünf Filme drehten Herzog und Kinski zusammen: Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Nosferatu (1978), Woyzeck (1978), Fitzcarraldo (1981) und Cobra Verde (1987). Einen weiteren Film hätte es noch geben können. Allerdings weigerte sich Herzog, bei Kinskis hemmungslos egomanischem Paganini-Projekt Regie zu führen.
Nachdem die Wege Herzogs und Kinskis auseinander gingen, zog sich Werner Herzog nach San Francisco zurück und arbeitete sehr erfolgreich im Bereich des Dokumentarfilms, vor allem für die BBC.
Zur Zeit dreht er auch für den WDR und ARTE erstmals wieder einen Spielfilm: The Invincible , "Der Unbesiegbare", die Geschichte eines starken August auf Jahrmärkten, eines Hünen, der, weil er Jude war, nicht allein auf seine Stärke bauen konnte.
Werner Herzog gewann zahlreiche Preise für seine Filme, u.a. 1968 den Silbernen Bären für den besten Debütfilm, "Lebenszeichen", 1975 in Cannes den Sonderpreis der Jury für "Jeder für sich und Gott gegen alle", 1977 den Preis der Filmkritik für "Stroszek" und 1982 für "Fitzcarraldo" den Preis für die beste Regie in Cannes.
Redaktion: Sabine Rollberg
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