Stiftung "Ein Platz für Kinder"
10 Jahre KiD Hannover
Hier finden traumatisierte Kinder Schutz und Hilfe
Hamburg (ots)
Das KiD - Kind in Diagnostik - in Hannover gibt es seit nunmehr zehn Jahren. Was ist in den vergangenen Jahren passiert? Konnte den Kindern, die bereits in jungen Jahren Gewalt, Missbrauch oder starke Vernachlässigung erdulden mussten, geholfen werden? Wie sieht die Zukunft des Kinderschutzhauses aus? Als Träger des ersten Projekts der Stiftung "Ein Platz für Kinder" - darum heißt es nicht wie alle Folgeeinrichtungen Mattisburg - verfügt Bethel im Norden über den größten Erfahrungsschatz. Rüdiger Scholz, Leitung Kinder-, Jugend- und Familienhilfe Bethel im Norden berichtet über ein Jahrzehnt im KiD Hannover:
Seit 10 Jahren gibt es das KiD in Hannover. Was hat Sie überzeugt, als Johanna Ruoff (geb. Stengel) vor mehr als einem Jahrzehnt als Partner für das Konzept gewinnen wollte?
Ich war begeistert von ihrem Konzeptansatz, Kindern aus der Region und Hannover zu helfen, die aufgrund von Gewalt, und besonders sexualisierter Gewalt, ein besonders herausforderndes Verhalten zeigen oder aber sehr in sich gekehrt sind. Diese Jungen und Mädchen sind so besonders in ihren Bedürfnissen und in ihrem Agieren. Frau Ruoff machte deutlich, dass genau diese Kinder, die bereits mit drei, vier oder fünf Jahren Schreckliches erleben mussten, eine Chance auf eine gewaltfreie und hoffnungsvolle Zukunft verdienen. Dem stimmte ich bedingungslos zu.
Ein durch erwachsene Menschen zugefügtes Trauma darf nicht zur dauerhaften Zerstörung einer Lebensbiographie führen. Zudem sagte mir Johanna Ruoff: "Die Opfer von heute könnten die Täter von morgen sein". Durch Studien und Erfahrungen wussten wir von den Problemlagen. Kinder, die Gewalt, Missbrauch und extreme Vernachlässigung erdulden mussten, finden bundesweit in unserem Hilfesystem manchmal nicht geeignete Unterstützung, die sie bräuchten. Wir mussten etwas tun!
Dank der vielen Befürworter und Unterstützer wie der Gundlach Bau, dem Sparkassenverband Niedersachsen, der Nord/LB und vielen mehr, ist es gelungen, eine völlig neue Einrichtung für Niedersachsen gemeinsam mit der Childwatch Foundation, heute Ein Platz für Kinder, 2009 zu etablieren.
Wie viele Kinder haben Sie in den vergangenen 10 Jahren im KiD betreut?
Die Jungen und Mädchen zwischen vier und zwölf Jahren bleiben durchschnittlich sechs Monate bei uns. Insgesamt haben wir die Möglichkeit, zehn Kinder unterzubringen. Da wir die kleinen Trauma-Opfer immer erst dann gehen lassen, wenn wir die Geschichte der Traumatisierung kennen, gab es immer wieder Aufenthalte, die sich über die geplanten sechs Monate hinauszogen. Doch insgesamt haben wir bis heute rund 134 Jungen und Mädchen helfen können.
Wir verlief der Start des KiD?
Turbulent. Denn wir betraten absolutes Neuland. Und das Haus war von Anbeginn voll belegt. Wir hatten gut ausgebildetes Personal. 14 Fachkräfte waren startbereit, als die ersten Kids einzogen. Alle hatten massive Verhaltensauffälligkeiten. Sie kamen aus den verschiedensten Einrichtungen, Wohngruppen oder aus von Pflegeeltern. Niemandem war es gelungen, die Gründe für ihre Traurigkeit, ihr Gewaltverhalten, ihre Wut oder ihren Rückzug von Allem zu ergründen. Wir waren aufs Äußerte gefordert. Doch mit viel Geduld, Respekt und Zuwendung gelang es uns, das Vertrauen der Kleinen zu gewinnen.
Welche Erfahrungen haben Sie in den ersten Monaten gemacht?
Druck erzeugt Gegendruck. Es geht nicht darum, die Verhaltensauffälligkeiten "in den Griff" zu bekommen. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, die Kinder zu verstehen. Denn sie zeigen uns mit ihrem Verhalten nur, wie es in ihrer Seele aussieht. Wenn man also die Kinder so annimmt und aushält, wie sie sind, fassen sie Vertrauen. Und das ist der Schlüssel zu ihren Traumatisierungen.
Was können Sie während des Aufenthaltes der Kinder im KiD für die Jungen und Mädchen im Alter zwischen vier und 12 Jahren tun?
Wir können das Vertrauen zwischen Kindern und Erwachsenen wiederherstellen. Und wir können ergründen, was das besondere Verhalten ausgelöst hat. War es sexueller Missbrauch, massive Vernachlässigung oder waren es die täglichen Schläge? Mit diesem Wissen kann den kleinen Opfern gezielt geholfen werden. In einer genau passenden Einrichtung, mit gezielten Therapie-Maßnahmen und dem neu gewonnenen Vertrauen der Kinder, dass man ihnen helfen will.
Gibt es eine Kindergeschichte, die Sie besonders bewegt hat?
Vier Geschwister wurden vor einigen Jahren gemeinsam im KiD untergebracht. Sie waren über Jahre von ihren Eltern an einen Täter verkauft worden. Die Kinder haben sich uns anvertraut, und der Gesetzesbrecher konnte zumindest verurteilt werden. Das Perfide daran ist, und das ist auch der Jugendhilfe schon lange bekannt, dass Eltern am Missbrauch verdienen. Statt ihre Kinder zu schützen, liefern sie sie gnadenlos aus. Das rührt auch mich an.
Vor einigen Jahren haben die Stiftung "Ein Platz für Kinder" und die D. und H. Urban Stiftung das KiD komplett saniert. Wie haben die Kinder und auch das Personal die Veränderungen wahrgenommen?
Das war ein unglaublicher Moment. Man muss dazu sagen, dass das KiD wirklich schlimm aussah. Unsere Kinder haben viele Spuren ihrer Trauer und Wut an Heizungen, Wänden, Möbeln und anderen Einrichtungsgegenständen hinterlassen. Und dann kam die Stiftung "Ein Platz für Kinder" mit perfekten Handwerken, mit neuen "unkaputtbaren" Möbeln, einem beruhigenden Farbkonzept und viel Elan. Wir sind mit den Kindern in diesen vier Wochen aus dem Schutzhaus ausgezogen. Und das Team der Stiftung hat in dieser Zeit Großartiges geleistet. Das Betreuerteam und ich waren bei der Rückkehr angespannt, denn die KiD-Kinder brauchen einen sehr strukturierten Alltag, Sicherheit durch Routinen und möglichst wenig Veränderungen. Und nun kamen sie in ein komplett verändertes Haus... Was soll ich sagen, sie waren begeistert. Stundenlang liefen sie von Raum zu Raum, entdeckten immer wieder Neues - kurzum, die Jungen und Mädchen waren hingerissen.
Wie sehen die Zukunftspläne für das KiD in Hannover aus?
Ganz einfach, wir machen weiter. Wir ebnen Kindern den Weg in eine gewaltfreie und hoffnungsvolle Zukunft. Was gibt es Besseres?
Mittlerweile gibt es in Hamburg und auch bald auch in Halle (Saale) weitere Kinderschutzhäuser der Stiftung "Ein Platz für Kinder". Diese heißen Mattisburgen. Was können Sie den Kindern und Betreuern aus Ihrer Erfahrung mit auf den Weg geben?
Nie aufgeben! Auch wenn das Loch noch so groß ist, es gibt immer einen Ausweg. Man muss Geduld haben. Das gilt sowohl für die Kinder als auch für die Betreuer.
Braucht Niedersachsen eine weitere Einrichtung wie das KiD?
In Niedersachsen gibt es pro Jahr rund 4.000 erfasste Fälle von sexuellen Übergriffen auf Kinder. Hinzu kommen Fälle von Gewalt und Vernachlässigung. Wir sind in Niedersachsen eine von wenigen Einrichtungen dieser Art. Dementsprechend ist unsere Warteliste für das KiD in Hannover lang. Ja, ich kann mir vorstellen, dass es an anderen Stellen ein weiteres KiD oder Mattisburgen geben sollte.
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