Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)
Prädikat "besonders wertvoll": Raus aus der Genre-Schublade/Höchste Auszeichnung der FBW für Volker Schlöndorffs DIPLOMATIE, Marco Petrys DOKTORSPIELE sowie das Inklusionsdrama MIT GANZER KRAFT
Wiesbaden (ots)
Wiesbaden, 27. August. Selten reflektiert eine Kinostartwoche so sehr die Vielfalt der FBW-Prädikate wie in der letzten Augustwoche. Die unabhängigen Gutachter empfehlen ausgezeichnete Filme, die in ihrem Genre und in ihrer Machart auf ihre eigene Weise überzeugen.
Der neue Film von Volker Schlöndorff, DIPLOMATIE (Start: 28. August), startet bezeichnenderweise fast genau 70 Jahre nach dem historischen Ereignis, welches er porträtiert: Am 25. August 1944 ist die Nazi-Führerriege entschlossen, Paris dem Erdboden gleichzumachen. Der Krieg scheint verloren, die Stadt auch. Doch bevor General Dietrich von Choltitz den entscheidenden Befehl zur Sprengung geben kann, sucht ihn der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling auf. Er spricht mit Choltitz- und verhindert eine Katastrophe. Die FBW-Jury zeigte sich beeindruckt von Schlöndorffs meisterlich inszeniertem Kammerspiel. Sie vergab das höchste Prädikat "besonders wertvoll" und schreibt in ihrem Gutachten: "Die Meisterschaft, mit der dieser Film glänzt, zeigt sich selbst in scheinbar kleinen Momenten. Schlöndorff bietet ein Füllhorn zum Mit- und Nachdenken."
Der erste Sex und das erste Verliebtsein können ganz schön stressig sein: Das müssen auch Andi und Harry in DOKTORSPIELE (Start: 28. August) auf die harte Tour herausfinden. Der neue Film von Marco Petry widmet sich ganz den Problemen Jugendlicher, doch auf eine extrem witzige und freche Art. Hier wird kein Blatt vor den Mund genommen und Witze auch ruhig unter die Gürtellinie zielen. Nach einer angeregten Diskussion und unter Bezugnahme der klar formulierten Bewertungskriterien kam die fünfköpfige Expertenrunde der FBW zu dem Schluss: "Nach seinem sich selbst gestellten Anspruch und angesiedelt im Jugend-Bereich von 16 und 17jährigen Schülern, hebt sich dieser Film nach Ansicht der Jury-Mehrheit sehr wohltuend von anderen Filmen ab. Eine erfrischend-freche deutsche Jugend-Komödie!" Hierfür verlieh sie ihr das Prädikat "besonders wertvoll".
In MIT GANZER KRAFT (Start: 28. August) widmet sich der französische Regisseur und Drehbuchautor Nils Tavernier dem Thema Inklusion auf eindrucksvolle und berührende Weise. Er erzählt von dem Jugendlichen Julien, der mit seinen 17 Jahren an einen Rollstuhl gefesselt ist, aber dennoch einen Traum hat: Die Teilnahme am französischen Iron-Man-Marathon. Nur mit Hilfe seines Vaters kann dieser Traum Wirklichkeit werden. Und gleichzeitig das Band zwischen Vater und Sohn stärken. "Beeindruckend, dass es trotz aller Dramatik dieses schwierigen Themas den Machern gelungen ist, so leichtfüßig zu erzählen." So urteilte die unabhängige Jury, die den Film mit dem höchsten Prädikat "besonders wertvoll" auszeichnete.
Weitere Informationen zu den FBW-Kinotipps der Woche gibt es auf der Homepage unter www.fbw-filmbewertung.com.
Prädikatsfilme vom 28. August 2014
Diplomatie
Spielfilm, Drama. Deutschland, Frankreich 2013 Filmstart: 28.08.2014
Paris, 1944. General Dietrich von Choltitz erhält von Hitler den Auftrag, die Hauptstadt Frankreichs dem Erdboden gleich zu machen. Akribisch lässt von Choltitz alles vorbereiten, Sprengsätze anbringen, Experten befragen, Soldaten postieren. Doch in der Nacht zum 25. Augusts, kurz bevor der endgültige Befehl erteilt wird, betritt der schwedische Generalkonsul Raoul Nordling das Zimmer des Generals. Er versucht alles, um die Kulturmetropole zu retten. Volker Schlöndorffs Film, der auf dem gleichnamigen Theaterstück von Cyril Gély beruht, zeichnet ein Treffen zweier historischer Figuren nach, das es so nie gegeben hat. Und doch beruhen die Eckpunkte auf Tatsachen. Denn in der Tat hatte von Choltitz Zweifel an der Entscheidung, Paris in die Luft zu sprengen und erteilte letzten Ende genau diesen Befehl nicht. Ebenso ist die Ehrung des Generalkonsuls Nordling für die Rettung der Stadt historisch verbürgt. Sowohl der Film als auch das Theaterstück stützen sich in ihrem Szenario auf diese historischen Eckdaten. Und Schlöndorff gelingt es, das Bühnenstück mit gezielt eingesetzten filmischen Mitteln in ein spannendes und atmosphärisch packendes filmisches Kammerspiel zu verwandeln. Nur wenige Szenen spielen außerhalb des Besprechungszimmers, nur selten verlässt die Kamera die Kontrahenten, die sich als ebenbürtige Gegner und Gesprächspartner begegnen. Niels Arestrup als Dietrich von Choltitz und André Dussollier als RaoulNordling stehen sich in nichts nach, ihre Argumente sind wohlweislich gewählt, jeder Satz steckt voller Doppelbödigkeiten und Subtext. Auch auch der Zuschauer erkennt erst nach und nach, mit welchen Tricks Nordling arbeitet, um eine Rettung in letzter Sekunde zu ermöglichen. DIPLOMATIE ist ein konzentriert erzählter, spannender und komplexer Film über ein (fiktives) Stück der Geschichte. Dazu eine großartige Lektion über die Kraft und Macht der Diplomatie.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/diplomatie
Doktorspiele
Spielfilm, Teenie-Komödie. Deutschland 2014.
Andi will Katja. Unbedingt. Denn Katja ist das beliebteste und schönste Mädchen auf der ganzen Schule. Sein Freund Harry macht ihm Mut, er solle sich einfach "ranmachen". Doch da gibt es ein Problem. Denn Katja ist ständig mit Bobby zusammen, der, wie Andi selbst in der Dusche nach dem Sport festgestellt hat, körperlich extrem gut ausgestattet ist. Und während Andi noch überlegt, wie er bei seiner Traumfrau landen kann, taucht auf einmal Lili auf, mit der Andi vor zehn Jahren im Sandkasten gespielt hat. Und die nun eindeutig nicht mehr das kleine Mädchen ist, dass ihn vor zehn Jahren auslachte - nachdem er sich vor ihr ausgezogen hat. Erste Liebe, erster Sex, das Hin und Her der pubertären Gefühlswelt - das alles behandelt DOKTORSPIELE von Marco Petry auf eine frisch unterhaltsame und ganz lockere Art. Selbstverständlich ist die Sprache manchmal etwas derber, direkter und deftiger. Doch was seine Hauptfiguren angeht, so nimmt der Film sie mit all ihren kleinen und großen Problemen stets ernst. Andi und Harry sind zwei pubertäre Jungs, die mit dem Hormonchaos in ihrem Körper mal besser, mal schlechter zurechtkommen und die sich dazu auch noch das erste Mal so richtig verlieben. Dass es dabei zu manchmal peinlichen Momenten kommt, ist nur logisch und extrem amüsant. Merlin Rose als Andi macht seine Sache als sympathisch unsicherer Antiheld, der auf dem Weg zum perfekten Sex die wahre Liebe findet, mehr als gut, und Max von der Groeben als pornobesessener bester Freund, der das Herz auf dem rechten Fleck hat, ist ein perfektes Pendant. Lisa Vicari als Lilli und Ella Maria Gollner als Oberzicke Katja sind ebenfalls bestens besetzt. In den Nebenrollen überzeugen Christiane Paul und Oliver Korittke als Andis Eltern, die oft überfordert sind, aber immer versuchen, Verständnis für die Sorgen ihres Sprösslings aufzubringen. Dass der Film in den Sommerferien spielt, ist passend. Die Farben sind bunt, die Musik treibt die Stimmung an, der Spaß steht im Vordergrund. In seiner gelungenen Mischung aus derben Sprüchen und einer süßen Liebesgeschichte muss sich Petrys Film vor internationalen Vorbildern und Vorgängern nicht verstecken. Alles in allem ist DOKTORSPIELE ein herrlicher Teenie-Sommerspaß für alle die, die gerade mittendrin im Gefühlsdilemma stecken. Aber auch für die, die sich an diese Zeit voller Lust und Frust zurückerinnern.
http://www.fbw-filmbewertung.com/film/doktorspiele
Mit ganzer Kraft
Spielfilm, Drama. Frankreich 2013 Filmstart: 28.08.2014
Schon seit langem möchte der 17jährige Julien am französischen Ironman-Triathlon teilnehmen. Doch Julien sitzt im Rollstuhl und ist von der Teilnahme ausgeschlossen. Er überredet jedoch seinen Vater Paul, mit ihm gemeinsam im Wettbewerb zu starten. Doch Paul, der sich in den vergangenen Jahren nicht wirklich um seinen Sohn gekümmert hat, zögert. Und auch Juliens Mutter Claire macht sich große Sorgen um ihren Jungen. Aber Julien lässt sich die Chance nicht nehmen, der Welt zu beweisen, dass er alles schaffen kann, was er sich vornimmt. Und Paul begreift, dass nichts auf der Welt wichtiger ist als sein Sohn. Regisseur Nils Tavernier, der auch das Drehbuch schrieb, erzählt die Geschichte zweier entschlossener Figuren, die jeder für sich einen Kampf ausfechten müssen und doch als Vater und Sohn emotional zusammenrücken. Julien auf der einen Seite, der nicht mehr akzeptieren kann, dass seine Behinderung ihn davon abhält, seine Träume leben zu können. Und Paul auf der anderen Seite, der durch das Training nicht nur endlich eine Verbindung zu seinem Sohn knüpfen kann. Er lernt vielmehr, Verantwortung zu übernehmen, und nicht aufzugeben, wenn es schwierig wird. Sämtliche Darsteller, ob in Haupt- oder Nebenrollen, überzeugen. Keine Figur wird negativ gezeichnet, für jeden Aspekt findet der Film Verständnis. Er thematisiert Inklusion, blickt aber nicht mitleidig oder glorifizierend auf Juliens Situation. Als junger Mann mit ganz normalen Wünschen und Träumen wird er ebenso ernst genommen wie der Vater, der durch den gemeinsamen Wettkampf erst lernt, ein guter Vater und ein besserer Ehemann zu werden. Das Training der beiden sowie der Wettkampf als inszenatorisches Herzstück des Films sind brillant gefilmt, die Kamera bleibt nah bei den Sportlern, gekonnt dominieren hier Tempo und Spannung. MIT GANZER KRAFT ist ein berührendes Drama über Vater und Sohn, die gemeinsam einen Traum verwirklichen. Und das deutlich zeigt, dass Inklusion nicht mehr diskutiert werden muss. Sie muss einfach geschehen.
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