ZEIT-Aufruf zum Diktat nach alten Rechtschreibregeln
Hamburg (ots)
Die ZEIT hat alle Schriftsteller, die sich öffentlich für eine Rücknahme der Rechtschreibreform geäußert haben, zu einem Diktat nach den alten Regeln eingeladen. Ein entsprechender Aufruf ist in der Ausgabe 34 vom 17. August veröffentlicht. Er wendet sich an die zahlreichen prominenten deutschen und österreichischen Schriftsteller, die in den letzten Wochen ihren Protest gegen die Reform formuliert haben, unter ihnen Günter Grass, Martin Walser, Elfriede Jelinek, Durs Grünbein, Hermann Kant und viele andere.
In dem Aufruf der ZEIT heißt es: "Wir haben den Verdacht, dass die alte Schreibung nicht so viel einsichtiger ist als die neue, und würden diesen unseren Verdacht gerne überprüfen. Deshalb bitten wir alle Autoren, deren Liebe zur Orthografie so groß ist, dass sie öffentlich die Rückkehr zur alten Schreibung forderten, zu jener heiligen Handlung, in der sich diese Liebe am besten zeigen lässt, nämlich zu einem Diktat nach den alten Regeln."
Als Termin für das Diktat nennt die ZEIT den 23. August, sie will die Ergebnisse in einer folgenden Ausgabe veröffentlichen. Die Wochenzeitung bittet um rasche Anmeldung; eine Auswahl der Kandidaten behält sie sich allerdings vor.
- Es folgt der Originaltext des Aufrufes -
Dichter zum Diktat! Aufruf zum Rechtschreibtest - nach den alten Regeln
Berühmte Schriftsteller deutscher Sprache haben in öffentlichen Protestnoten die Rücknahme der Rechtschreibreform gefordert. Die ZEIT möchte diese Autoren, von Günter Grass bis Martin Walser, von Durs Grünbein bis Hermann Kant, darum zu einem Diktat bitten, in dem sie ihre Kenntnis der alten Orthografie beweisen können.
Der Aufruf ist ernst gemeint. Gewiss können der neuen Schreibung allerlei Ungereimtheiten und Hässlichkeiten nachgesagt werden. Man wird auch feststellen, dass sie von den wenigsten vollständig angewandt wird. Oft wird nur umgesetzt, was unmittelbar ins Auge springt, die Dreifachkonsonanten, die Silbentrennungen gegen die Wortbildung. Selten werden die neuen Groß- und Getrenntschreibungen, die Freiheiten der Kommasetzung geübt. Mit anderen Worten: Die Rechtschreibreform wird nicht eigentlich praktiziert, sondern nur simuliert.
Aber Hand aufs Herz: War das mit der alten Schreibung anders? Wer hat alle Spitzfindigkeiten nachvollzogen und gewusst, wann ein Problem "im ganzen" und wann es "im Ganzen" diskutiert wurde? Wer kennt die Regeln, die "Auto fahren" anders als "radfahren" behandelt wissen wollen? Manche Autoren haben von der ZEIT verlangt, dass ihre Texte dort in der alten Schreibung erscheinen sollten, und wir haben diese Forderung stets zu erfüllen versucht. Aber wie lang war der Weg dahin! Es waren jedenfalls nicht die abgelieferten Manuskripte, die den alten Regeln folgten. An den Manuskripten musste vielmehr in mühsamen Verhandlungen zwischen Korrektorat und Autoren die alte Schreibung erst vollzogen werden. Wir wollen das nicht tadeln noch uns darüber lustig machen. Wir haben nur den Verdacht, dass die alte Schreibung nicht so viel einsichtiger war als die neue, und würden diesen unseren Verdacht gerne überprüfen.
Deshalb bitten wir alle Autoren, deren Liebe zur Orthografie so groß ist, dass sie öffentlich die Rückkehr zur alten Schreibung forderten, zu jener heiligen Handlung, in der sich diese Liebe am besten zeigen lässt, nämlich zu einem Diktat nach den alten Regeln. Am Mittwoch, dem 23. August, wird die ZEIT ein Klassenzimmer einrichten; in einer folgenden Ausgabe werden die Ergebnisse veröffentlicht. Um rasche Anmeldung wird gebeten; die Auswahl der Schüler behalten wir uns (wie jede Eliteschule) vor. Wer das Diktat besteht, dem wird das Recht verliehen, die Wiedereinsetzung der alten Regeln zu fordern. Wer aber durchfällt, der soll fürderhin schweigen.
Jens Jessen
Diese Vorabmeldung aus der ZEIT Nr. 34/2000 mit Erstverkaufstag am Donnerstag, 17. August 2000 ist unter Quellen-Nennung DIE ZEIT zur Veröffentlichung frei. Der Wortlaut des ZEIT-Textes kann angefordert werden.
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