80 000 Kinder in Deutschland gefährdet wie Kevin oder Mehmet
Hamburg (ots)
In Deutschland sind rund 80 000 Kinder im Alter bis zehn Jahre von Verwahrlosung und extremer Vernachlässigung durch ihre Eltern bedroht. Diese Zahl nennt der Bielefelder Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann in der ZEIT. "Etwa ein Prozent der Eltern sind sozial völlig aus dem Ruder gelaufen, alkoholkrank, drogenabhängig, psychisch schwerst defizitär - das sind die, über deren Kindern täglich eine Katastrophe hängt. Bei rund 800 000 Kindern pro Geburtsjahrgang sind das 8000 pro Jahrgang, ergo 80 000 hoch gefährdete Null- bis Zehnjährige bundesweit. Hinzu kommen rund 15 Prozent Eltern mit massiven Erziehungsproblemen, die vor allem infolge materieller Armut sehr schlecht zurechtkommen. Und rund ein Drittel aller Eltern hat erhebliche Schwierigkeiten mit der eigenen Mutter- oder Vaterrolle, mit vernünftigem Erziehungsverhalten und Haushaltsführung", sagt Hurrelmann angesichts von Todesfällen wie Kevin aus Bremen oder Mehmet aus Zwickau.
Hurrelmann fordert ein beherzteres Eingreifen des Staates in Problemfamilien: "Wenn der Staat seine Fürsorgepflicht wahrnehmen will, muss er direkt in private Lebensverhältnisse eingreifen." Gegenüber überforderten Eltern sollten staatliche Stellen mit sanftem Zwang Hilfe anbieten: "Mit Freiwilligkeit kommen Sie bei den Eltern, über die wir hier die ganze Zeit reden, nicht weit ... Das Einfachste wäre, den Besuch des Kindergartens, vielleicht auch den Schuleintritt, an, sagen wir, fünf Abende zu knüpfen, die alle Eltern besuchen müssen. Da würden einfach die Standards des Privatraums Familie und der öffentlichen Institution Kindergarten angeglichen: 'Im Kindergarten werden die Kinder nicht geschlagen, wie sieht es zu Hause aus?' An solchen Abenden kann man den Eltern konkrete Vorschläge für kritische Erziehungssituationen anbieten."
Auch am Geldbeutel sollen es nach Ansicht von Hurrelmann Eltern aus der Unterschicht spüren, wenn sie sich nicht genug um den Nachwuchs kümmern: "Ich plädiere außerdem dafür, die Zahlung des Kindergeldes vom Besuch ärztlicher Vorsorgeuntersuchungen abhängig zu machen. Ich glaube, wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir sozialstaatliche Leistungen an ein bestimmtes Wohlverhalten des Empfängers koppeln dürfen. Zumal dieses ausschließlich dem Wohl des Kindes zugute kommt."
Das komplette ZEIT-Interview der ZEIT Nr. 43 vom 19. Oktober 2006 senden wir Ihnen gerne zu.
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