Schwäbische Zeitung: Nicht kapern lassen - lernen - Leitartikel
Leutkirch (ots)
Die Saarland-Wahl hat auch in Berlin einiges erschüttert, die etablierten Parteien sehen plötzlich ziemlich alt aus. Denn die Piraten haben mit Saarbrücken einen völlig normalen Landtag erobert. Bislang hatten Grüne und SPD gehofft, dass das Klientel der Piraten vor allem in den Großstädten sitzt. Nach diesem neuen Erfolg aber müssen alle mit der Möglichkeit rechnen, dass die Piraten in weitere Landtage in Kiel und Düsseldorf einziehen. Das zwingt die anderen politischen Parteien zum Innehalten und Nachdenken.
Woran liegt der Erfolg der Piraten? Zum einen bestimmt am frischen, unkonventionellen Denken. Wer den öffentlichen Nahverkehr für die Benutzer kostenfrei machen oder ein Opernhaus in Berlin mal eben dicht machen will, sorgt für Aufsehen.
Zweitens: Die Piraten haben noch keine Berufspolitiker und noch kein Parteiprogramm. Das kann ein Vorzug in den Augen einer Politik- und Politikerverdrossenen Öffentlichkeit sein. Vor allem aber ist es eine Gefahr. Wenn die Piraten sich selbst als ganz normale Menschen bezeichnen, unterstellen sie damit anderen Potiikern, dass diese es nicht sind. Das ist unverschämt. Außerdem mag eine Politik nach Mehrheitsmeinung basisdemokratisch sein, sie birgt aber große Gefahren. Eine Mehrheit wird zum Beispiel den Euro ablehnen. Aber denkt diese Mehrheit auch daran, wie es ohne Euro weitergeht?
Verantwortliche Politik sollte sich dadurch auszeichnen, dass sie über die Stimmung des Tages hinausdenkt, dass die Handelnden bekannt sind, dass ihnen vertraut wird, dass sie für die Konsequenzen ihrer Politik gerade stehen.
Eine anonyme Mehrheit im Netz aber muss keine Konsequenzen tragen. Insofern sind die Piraten noch nicht politikfähig. Ihnen kommt nur ein Verdienst zu: So, wie einst die Grünen dafür sorgten, dass Umweltfragen in allen Parteien ernst genommen wurden, so können die Piraten jetzt dazu beitragen, dass die Mitmachdemokratie Boden gewinnt, dass Politik transparenter wird.
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