Anleger gehen in Deckung
Kommentar zum Drang in "sichere Häfen" von Christopher Kalbhenn
Frankfurt (ots)
Die Coronakrise ist nicht nur eine Tragödie für die unmittelbar betroffenen Menschen. Sie kommt der Weltwirtschaft auch teuer zu stehen. Rund 16 Bill. Dollar haben sich in den zurückliegenden drei Wochen weltweit an den Aktienmärkten in Rauch aufgelöst. Allein das Minus an Marktkapitalisierung beim S&P 500, hat die Bank of America ausgerechnet, entspricht einem Verlust von rund 28.000 Dollar pro US-Bürger. Den bisher eingetretenen realwirtschaftlichen Schaden bezifferte Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, in der abgelaufenen Woche auf 750 Mrd. Euro. Das ist mehr als die Wirtschaftsleistung Saudi-Arabiens 2018.
Für die Marktteilnehmer ist nicht nur das Ausmaß des Kurssturzes erschreckend, sondern auch sein Tempo. Im Vergleich zum Rekordhoch vom 17. Februar von 13.800 Punkten hat der Dax in nur 20 Handelstagen 33% eingebüßt. Noch nie ist der S&P 500 so schnell wie in diesem Jahr in einen Bärenmarkt - definiert als Rückgang gegenüber dem vorangegangenen Hoch um 20% - übergegangen. Nur 16 Tage hat er dazu gebraucht. Ähnlich kurz, aber eben etwas länger war der Übergang nur während der Horrorcrashs der Jahre 1929 - darauf folgte die Große Depression - und 1987.
Die Liste der markttechnischen Extreme und Rekorde ist lang, sehr lang: Volatilität wie zuletzt nach dem Kollaps von Lehman Brothers, rekordhohe Umsätze an den Börsen etc. Einen besonderen Blick sind auch die wöchentlichen globalen Zu- und Abflüsse der Fonds wert. Laut den Daten von EPFR sind aus Anleihefonds 25,9 Mrd. Dollar abgeflossen, so viel wie noch nie. Dieser auf den ersten Blick erstaunliche Wert ist jedoch ein Saldo. Die aufgeschreckten Anleger sind aus Investment-Grade- sowie Hochzins- und Schwellenländertiteln geflohen. Diese drei Assetklassen verzeichneten durchweg Rekordabflüsse, in der Summe in Höhe von 34,1 Mrd. Dollar. Auf der Suche nach Sicherheiten griffen sie dafür u.a. nach Staatsanleihefonds, denen rekordhohe 13,9 Mrd. Dollar zuflossen. Goldprodukte erreichten mit 3,1 Mrd. Dollar ihre bislang zweithöchsten Zuflüsse.
Allerdings haben sich nicht alle echten oder vermeintlichen Safe Havens in letzter Zeit so entwickelt, wie sich das die Marktteilnehmer vorgestellt haben. So mussten die zuvor wie Safe Havens gehandelten, von den Anlegern begehrten Anleihen der europäischen Staaten, allen voran diejenigen Italiens, Federn lassen. Zur Erinnerung: In den ersten Wochen gab es einen noch nie dagewesenen Run auf Staatsanleihen des Euroraums, die per Syndikat an den Markt gebracht wurden. Die Orderbücher, auch solche von Peripheriestaaten, erzielten durchweg rekordhohe, teilweise in den hohen zweistelligen Milliarden-Euro-Bereich reichende Höhen. Die Coronakrise erinnert die Marktteilnehmer daran, dass Peripherieanleihen eben nicht Safe Havens wie Treasuries und Bundesanleihen sind.
Ähnliches gilt für Kryptowährungen. Sie sind, obwohl sie in der Vergangenheit enorme Kursschwankungen gezeigt haben, von Sicherheit suchenden Anlegern angesteuert worden. Ein Fehler, wie sich jetzt zeigt: Bitcoin sackte am Freitag bis auf 3.850 Dollar ab und verlor damit in nur zwei Tagen bis zu 51,5%.
Doch auch die "echten" Safe Havens haben sich zuletzt funktionsgestört gezeigt. So ist auch der Goldpreis, der üblicherweise in Krisenphasen kräftig zulegt, unter die Räder geraten. In der abgelaufenen Woche hat die Notierung der Feinunze, die am 9. März zuhöchst noch bei 1.703 Dollar gelegen hatte, 9,2% auf 1.521 Dollar verloren. Selbst Bundesanleihen gerieten am Donnerstag, als der Ausverkauf an den Aktienmärkten seinen bisherigen Höhepunkt erreichte, leicht unter Druck - statt, wie sie es üblicherweise unter solchen Umständen tun, zu steigen. Unerklärlich ist diese Entwicklung jedoch nicht. Der Crash bringt viele Marktteilnehmer in Nöte, so dass sie Liquidität brauchen und sich selbst von sicheren Assets trennen, um zu Geld zu kommen. "Cash is King", überschrieb die Hamburg Commercial Bank vor dem Wochenende ihren Rentenmarktausblick. Das im Vergleich zu den Tiefpunkten relativ hohe Renditeniveau lasse sich eigentlich nur damit erklären, dass die Anleger in ihrer verzweifelten Suche nach Cash auch Staatsanleihen bester Bonität verkaufen.
Die Daten von Fondsdaten von EPFR spiegeln auch das wider. In Liquidität flossen in besagter Woche rund 137 Mrd. Dollar. Auch das ist ein Rekordwert.
(Börsen-Zeitung, 14.03.2020)
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