Börsen-Zeitung: Das britische Nein, Kommentar zur Suspendierung des EU- Verfassungsgesetzes von Norbert Hellmann
Frankfurt (ots)
Nach Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden sagen nun auch die Briten Nein. Nur auf eine elegantere Weise. Die britische Regierung gönnt sich den Luxus, das Vertragswerk weder auf parlamentarischem Wege ratifizieren zu lassen noch die ihr denkbar lästige Angelegenheit einem Plebiszit zu unterstellen. Am Montag nutzte Außenminister Jack Straw denn gleich die erstbeste Gelegenheit im Unterhaus, um den parlamentarischen Werdegang eines noch zu beratenden EU-Verfassungsgesetzes im Keim zu ersticken.
Mit der Suspendierung des Gesetzesvorhabens entfällt nämlich die Grundlage für die ursprünglich im nächsten Jahr geplante Volksbefragung. Da es der erst jüngst bei Parlamentswahlen in ihre Schranken verwiesenen Regierung Blair praktisch unmöglich gewesen wäre, den Briten ein Ja zur EU-Verfassung abzutrotzen, dürfte Blair die mit Abstand schwierigste Klippe seiner dritten Amtszeit auf wundersame Weise damit bereits umschifft haben.
Natürlich wird sich die Regierung im Vorfeld eines diffizilen EU- Gipfels und mit Rücksicht auf ihre im Juli beginnende Ratspräsidentschaft ein offizielles britisches Nein zur EU- Verfassung verkneifen. Inoffiziell aber heißt die Devise, das Vertragswerk für mausetot zu erklären und zu verhindern, dass Elemente desselben wiederbelebt werden. Zwar führt dies zum direkten Konfrontationskurs mit Deutschland und Frankreich, für den es einen Preis zu bezahlen gibt, nämlich schärferen Gegenwind in der Debatte über den britischen Rabatt bei den EU-Beiträgen. Blair wird dies aber kaum schrecken, denn gegenwärtig wähnt er sich in einer Position der Stärke. Hinter den Kulissen weiß man schließlich, dass das Scheitern der EU-Verfassung auf eine Pokerpartie zurückgeht, die die Briten gewonnen haben:
Ende 2003 versprach Blair Chirac, dass es kein britisches Referendum geben werde. Später aber beugte sich ein innenpolitisch vom Irak- Krieg geschwächter Blair dem euroskeptischen Lager um Außenminister Straw und Finanzminister Gordon Brown, die u.a. aus wahltaktischen Gründen ein Referendum forderten. Der düpierte Chirac erhöhte den Wetteinsatz, indem er die französische Volksbefragung ausrief. Heute weiß man, zu wessen Gunsten der Poker ausgegangen ist. Die Briten haben ihr Nein bekommen, aber die Franzosen dazu gebracht, es auszusprechen.
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