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Lausitzer Rundschau: 18 Jahre nach dem 9. November 1989 Die Mauer am falschen Fleck

Cottbus (ots)

Am Potsdamer Platz inmitten der Hochhäuser scheint
es putzig klein, das kleine Stückchen Mauer. Es ist eines der 
europaweit beliebtesten Fotoobjekte geworden für Touristen aus aller 
Herren Länder. Aber genau genommen sei das eine Ironie der 
Geschichte, dass dort wie in weiten Teilen Deutschlands mit der 
Erinnerung an die ehemalige Grenze die Propagandalüge der DDR 
übernommen wurde, sagte mir kürzlich ein ehemaliger Grenzoffizier. 
Wer dort den Grenzverlauf markiere, tue heute so, als sei das 
berüchtigte Bauwerk tatsächlich gegen den Westen gerichtet gewesen.
Die Mauer aber, die die Menschen in Ostberlin zu sehen bekamen und an
der ihre Welt endete, stand anderswo - viele, manchmal viele hundert 
Meter entfernt. Diese "Hinterland-Sperranlage" aber, die tatsächliche
Grenze zwischen Freizügigkeit und Verbot, ist aus dem Gedächtnis der 
Stadt weitgehend verschwunden. Die Mauer am falschen Fleck ist ein 
Lehrbeispiel für einen Blick auf die DDR, an der sich viele ihrer 
früheren Bewohner reiben. Und entsprechend reagieren sie auf die 
Vorhaltungen zum Leben in einem Unrechtsstaat. Wer nicht dabei 
gewesen sei, der wisse im Grunde gar nichts und solle besser 
schweigen. Nun ist dies für sich genommen allerdings ein blödsinniges
Argument. Dann dürfte bald auch keiner mehr über die Nazi-Zeit reden.
Wenn man aber im deutschen Talk-Show-Betroffenheits-Betrieb den einen
oder anderen reden hört, merkt man sehr schnell die Fremdheit 
gegenüber dem einstigen Geschehen jenseits der Mauer. Im Osten igelt 
sich der erstaunte Zuhörer dann gerne ein, sagt bestenfalls etwas von
Ignoranz. Tatsächlich allerdings hat das absurde Schweigen über die 
Widersprüche im eigenen Ost-Leben einen gehörigen Anteil daran, dass 
jetzt das Bild vom Alltag in der DDR solche fremdbestimmten Züge 
gewinnt. Die Weigerung, sich selbst und den eigenen Kindern und 
Enkeln Rechenschaft abzulegen, ist weit verbreitet. Wer aber bei dem 
Versuch des auch selbstkritischen Rückblicks nicht dabei ist, der 
kann sich die Vorwürfe an andere sparen. Jener Grenzoffizier, der 
mich auf den merkwürdigen Umgang mit dem einstigen Mauerverlauf 
hinwies, gehört zu denen, die nicht nur einmal dabei waren, sondern 
heute noch da sind - mit der ganzen leidvollen, auch von Scham 
geprägten Geschichte.
Die Mauer markierte eben nicht in erster Linie die Grenze. Sie setzte
vielmehr den Menschen Grenzen. Die aber zu überwinden ist auch 18 
Jahre nach dem Mauerfall eine Herausforderung.

Pressekontakt:

Lausitzer Rundschau

Telefon: 0355/481231
Fax: 0355/481247
lr@lr-online.de

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