Berliner Morgenpost: Hinweise auf Verbindungen zwischen Fall Fourniret und Dutroux
- Originaltext Ausgabe vom 7.7.2004 -
In Frankreich leben knapp 60 Millionen, in Belgien mehr als zehn Millionen Menschen. Da fällt es schwer, an einen Zufall zu glauben, dass der mutmaßliche Serienmörder Michel Fourniret und der im Dutroux-Prozess zu fünf Jahren Haft verurteilte dubiose Geschäftsmann Michel Nihoul einen gemeinsamen Bekannten hatten: Es handelt sich nach Informationen der Berliner Morgenpost um den inzwischen verstorbenen Polizisten Gérard Vanesse aus dem belgischen Dinand.
Im Zuge der Ermittlungen gegen den inzwischen zu lebenslanger Haft verurteilten Kindermörder Marc Dutroux war bekannt geworden, dass Nihoul ein Informant der Gendarmerie in Dinand gewesen ist. Am 23. April 1996, also fünf Monate vor der Festnahme Dutroux, hatte Nihoul der Polizei einen Tipp gegeben, wonach ein ihm bekannter Brite namens Walsh in Drogengeschäfte verwickelt sei. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen gegen den Briten ließ die Polizei das Haus des in Belgien wohnenden Franzosen Michel Fourniret durchsuchen und fand eine Polizeiwaffe, die 1993 aus einer Zollstation an der belgisch-französischen Grenze gestohlen worden war. Der Name des Ermittlers: Gérard Vanesse.
Bekannt ist in Belgien bereits, dass Vanesse und Nihoul Kontakt hatten. Am 15.August 1996 soll Nihoul seiner damaligen Lebensgefährtin Annie Bouty gesagt haben, er müsse unbedingt den Polizisten Vanesse sehen, was ihm aber misslungen sei. Kurz darauf wurde Nihoul im Zusammenhang mit dem Dutroux-Verfahren festgenommen. Hatte Vanesse von Nihoul auch den Tipp erhalten, das Anwesen von Fourniret durchsuchen zu lassen?
In Belgien stellt sich nun die Frage, ob einige Morde des Franzosen neun hat er gestanden hätten verhindert werden können. Denn die belgischen Behörden wussten durchaus, dass Fourniret kein unbescholtener Bürger gewesen ist. Die von dem Polizisten Vanesse angelegte Fourniret-Akte ist sogar Bestandteil der Dutroux- Unterlagen. Die Protokolle in der Ermittlungsakte mit der Nummer 8269 tragen die Zahlenkombinationen 10458/96, 8621/98 und 8226/00. Hierin befinden sich auch Aussagen der Ehefrau von Fourniret, Monique Olivier. Die belgischen Behörden schieben nun die Schuld auf die französischen Ermittler, die angeblich nicht die Vorstrafe des mutmaßlichen Mörders Fourniret als Kinderschänder mitgeteilt hätten. Doch die Belgier selbst hatten Hinweise auf Fourniret.
Er wurde in den vergangenen acht Jahren drei Mal im Gewahrsam genommen. Die Polizei hatte ihn aber 1996, 2000 und 2001 jeweils wieder laufen lassen mangels Beweisen. 1996 wurde er wegen Waffenschmuggels und Exhibitionismus festgenommen. Im Jahr 2000 versuchte er die 14-jährige Sandra aus Gedinne, einer Kleinstadt nahe Fournirets Wohnsitz in Sart-Custinne zu entführen. Das Mädchen ging nach dem Vorfall mit seinen Großeltern zur Polizei und gab eine genaue Personenbeschreibung ab. Im April 2001 versuchte er, eine 20- jährige Radfahrerin aus Han-sur-Lesse zu entführen. Die junge Frau ging zur Polizei und nannte das Autokennzeichen des Täters. Dadurch konnte die Polizei Fourniret identifizieren. Er wurde vernommen, aber weiter führten die Ermittlungen nicht. Gefasst werden konnte Fourniret erst, nachdem er versucht hatte, die 13-jährige Marie- Ascension zu entführen, die ihm entkam und ihn anzeigte.
Zudem liegt der Berliner Morgenpost ein Brief eines inzwischen wegen Kindesmissbrauchs verurteilten Belgiers vor, den er 1995 an den auch im Dutroux-Verfahren beteiligten Richter Jean-Marc Connerotte geschrieben hatte. Darin teilte er mit, dass die 1989 verschwundene Elisabeth Brichet in einen weißen Mercedes mit französischem Kennzeichen gezerrt worden sei. Es stellte sich heraus, dass der Mercedes Fourniret gehörte. Er hatte das Kind in sein Auto gelockt und später ermordet. Fourniret hat die Ermittler zu der Leiche des Mädchens geführt.
Erst im vergangenen Jahr wurde der Belgier, der den Brief geschrieben hatte, als Kinderschänder enttarnt. Er war 1987 in einen Pädophilen-Skandal in der Brüsseler Unicef-Zentrale verwickelt gewesen. Damals waren im Keller des Gebäudes Kinder missbraucht und Fotos davon verbreitet worden.
Der private belgische Ermittler Marcel Vervloesem fordert angesichts der offensichtlichen Verbindungen zwischen den Fällen Fourniret und Dutroux eine zentral gesteuerte Überprüfung aller Kinderschänder- Skandale in Europa der letzten Jahre. Es kann nicht sein, dass es kein zentrales Register der Pädophilen in Europa gibt, sagte der Ermittler. Er sei überzeugt, dass sich bei einer Zusammenlegung aller Akten ein Netzwerk ergebe und sich damit auch weitere Schicksale von vermissten und ermordeten Kindern aufklären ließen. Vervloesem: Die Ermittler scheuen diese Arbeit. Was wollen sie damit verdecken und in wessen Auftrag? Die Lütticher Generalstaatsanwältin An Thilly habe dem Dutroux-Ankläger Michel Bourlet untersagt, Hinweise auf ein Netzwerk ausgiebig zu prüfen. Der Verdacht besteht jedoch, dass viele Kinder Opfer eines international agierenden Rings von Pädophilen geworden sind. Das glaubt auch Jürgen Funke, Stiefvater der 1996 verschwundenen, damals achtjährigen Deborah Sassen aus Düsseldorf. Debbie verschwand an ihrer Schule, die an einem Autobahnkreuz liegt, das in Richtung Belgien führt. Ich bin sicher, dass sie in die Fänge von organisierten Kinderschändern geraten ist.
Ungeklärt sind noch viele Fälle von verschwundenen und ermordeten Jungen aus Deutschland, vor allem aus Berlin. Hinweise darauf, dass etwa der 1993 als Zwölfjähriger verschwundene Manuel Schadwald aus Tempelhof ins niederländische Kinderporno-Milieu verschleppt worden ist, liegen dem Dutroux-Ankläger Michel Bourlet vor. Doch im Dutroux- Prozess wurden die Spuren zu anderen Fällen nicht weiterverfolgt, die Netzwerk-Theorie sogar verworfen. Bourlet jedoch hatte zuvor während der Ermittlungen gegen Dutroux immer von einem Netzwerk gesprochen. Mindestens 27 tote Zeugen und ungeklärte Geldflüsse an Dutroux nach dessen Kindesentführungen sprechen dafür, dass vieles gedeckt wurde. Mit dem Fall Fourniret und der Verbindung zum Dutroux- Komplizen Nihoul könnte die Netzwerk-These jedoch wieder aktuell werden.
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