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NRZ: Der bessere, der Bürgerpräsident
Essen (ots)
Eigentlich ist die Abstimmung über das höchste Amt im Staat kein Ereignis, dem die Massen entgegen fiebern. Heute sind die Erwartungen dennoch riesengroß. In der Bevölkerung ist die Hoffnung gewachsen, dass die Wahl einen Präsidenten hervorbringen könnte, der es vermag Deutschland noch einmal das "Wir sind ein Volk"-Gefühl zu vermitteln. Einer,dem es gegeben ist, Kraft seiner Persönlichkeit, ein Zeichen gegen die allgemeine Lustlosigkeit an der Politik zu setzen. Einer wie Joachim Gauck.
Was wäre, wenn dieser wortgewaltige Bürgerrechtler heute zum Bürgerpräsidenten gewählt würde? Schöner Traum. Es wird wohl nicht so kommen. CDU und FDP haben einen stabilen Block in der Bundesversammlung gebildet, der nicht den besten, sondern den bequemsten Bundespräsidenten wählen soll. So wird die viel zitierte "Würde des Amtes" wieder zum Opfer der Machtpolitik.
Schon die Kandidatur von Joachim Gauck ist ein Gewinn. Solche Begeisterung für einen Politiker gab es lange nicht mehr. Sie beweist, wie lebendig und attraktiv unsere Demokratie sein könnte. Die breite Zustimmung für Gauck ist auch eine Absage an "die da Oben" und deren ermüdende Spiele der Macht. Doch der nächste Bundespräsident wird, wenn nicht ein Sommermärchen verhindert, dass die Kanzlerin ihren Willen durchsetzt, Christian Wulff heißen.
Kein schlechter Mann; aber einer ohne Eigenschaften. Ein verdienter Parteisoldat und perfektes Symbol eines Staates, der darauf pfeift, wie seine Bürger denken. Als Präsident von Merkels Gnaden, wird er, wie Horst Köhler, nur eine Randfigur der Berliner Republik sein.
Angela Merkel war einmal angetreten, um die "Kanzlerin aller Deutschen" zu werden. Sie ist von diesem Ziel weiter entfernt denn je. Dagegen ist Joachim Gauck schon jetzt Präsident der Herzen. Das spüren auch treue CDU-Protagonisten. Die klügsten Köpfe der Union: Die Altpräsidenten vom Weizsäcker und Herzog, sowie Kurt Biedenkopf ermahnen die Abstimmung in der heutigen Bundesversammlung freizugeben. Dies würde nicht nur dem Gesetz entsprechen, sondern auch dem Willen der Bevölkerung, die ja angeblich in Berlin vom Wahlkonvent repräsentiert wird.
Tatsächlich erlebt unsere Demokratie heute eine Nagelprobe. Läuft alles nach dem Drehbuch der Kanzlerin, dann bleibt Politik nur ein Schauspiel und die Bundesversammlung eine große Bühne, auf dem alle Jubeljahre das langweilige Stück "Bundespräsidentenwahl" gegeben wird. Wenn die Delegierten aber Mut genug haben, alles taktische Kalkül beiseite zu lassen, dann könnten wir eine Sternstunde der Demokratie erleben.
Das Abstimmungsverhalten der "Linken" ist dabei interessant. Ein absurde Vorstellung, dass Gysi & Co. ausgerechnet Wulff zum Bundespräsidenten küren. Joachim Gauck, der mutige Regimegegner und spätere Chefaufklärer des Stasi-Unrechts, kann kein Wunschkandidat der "Linken" sein. Sie hat aber die Chance mit seiner Wahl eindrucksvoll zu beweisen, dass sie als demokratische Partei in der modernen Bundesrepublik angekommen ist. Anderenfalls bleibt sie als "SED-Nachfolgepartei" abgestempelt.
Weder Regierung noch Opposition sollten heute danach fragen, welcher Kandidat dem eigenen Machtspiel nutzt, sondern wer Deutschland am besten dient. Es geht nicht darum, ob die Kanzlerin noch regieren kann und Joachim Gauck ist auch keine Wunderwaffe gegen die verwundbare Koalition. Er ist der bessere Präsident.
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