Phoenix-Programmhinweis
Sonntag, 16. März 2003, 9 Uhr
PHOENIX-Erstausstrahlung
Kreuz und Hakenkreuz
Der Vatikan öffnet sein Geheimarchiv
Bonn (ots)
Film von Werner Kaltefleiter
"Heiliger Vater, als Kind des jüdischen Volkes, das durch Gottes Gnade seit 11 Jahren ein Kind der katholischen Kirche ist, wage ich es, vor dem Vater der Christenheit auszusprechen, was Millionen von Deutschen bedrückt." Mit diesen Sätzen beginnt ein Brief, den die Karmelitin Edith Stein, eine Katholikin jüdischer Herkunft, im April 1933 an Papst Pius XI. geschrieben hat, in dem sie die Verfolgung der Juden in Deutschland beklagt. Es war das Jahr, in dem Hitler "die Macht übernahm", die ersten 50 Konzentrationslager bereit standen und mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, Waren, Ärzte, Anwälte und Lehrer die organisierte Verfolgung ihren Anfang nahm: am 1. April, "Schlag 10". Einen Tag später eröffnete Papst Pius XI. in Rom ein außerordentliches Heiliges Jahr zur Erinnerung an den Tod des Erlösers - an dessen Kreuzigung für nicht wenige Katholiken und Protestanten pauschal "die Juden" schuld waren.
Edith Stein, als Jüdin in Breslau geboren, 1922 zum katholischen Glauben konvertiert im Oktober 1933 unter dem Ordensnamen Theresia Benedicta a Cruce - in den Kölner Karmel eingetreten, richtete ihr Schreiben an das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche als damalige Dozentin am Deutschen Institut für wissenschaftliche Pädagogik "Collegium Marianum" in Münster. Den mit der Schreibmaschine verfassten, versiegelten Brief leitete der damalige Erzabt der Benediktiner-Abtei Beuron Raphael Walzer während eines Besuchs im Vatikan mit einem Begleitschreiben, datiert auf den 12. April 1933, an den Papst weiter. Edith Stein beschreibt in ihrem Brief einleitend die Ausschreitungen gegen die Juden und bedauert das Schweigen der Kirche zu diesen Vorgängen. Die Verantwortung falle auch auf die, die dazu schweigen. Mit diesem Schweigen sei auf die Dauer der Frieden mit der gegenwärtigen deutschen Regierung nicht zu erkaufen.
Der Brief galt nach dem Krieg zunächst als nicht auffindbar, wurde dann aber "entdeckt" und von den vatikanischen Behörden bis heute unter Verschluss gehalten. Erst vor kurzem hat das Vatikanische Geheimarchiv das Schriftstück veröffentlicht und dem ZDF-Redakteur Werner Kaltefleiter durch den Präfekten des Geheimarchivs, den Barnabiten-Pater Sergio B. Pagano vorgelegt und erläutert. Die Aufhebung der Sperrfrist, die bei Personen im allgemeinen 70 Jahre nach deren Tod beträgt, erfolgte im Rahmen der Öffnung eines Teils der Archivbestände aus der Regierungszeit von Papst Pius XI., also von 1922 bis 1939.
In der PHOENIX-Produktion Kreuz und Hakenkreuz zeigt Werner Kaltefleiter den Originalbrief Edith Steins mit den Erläuterungen von Pater Pagano und lässt exklusiv den deutschen Jesuitenpater Peter Gumpel zu Wort kommen. Der deutsche Ordensmann bearbeitet als "Relator", als leitender Untersuchungsrichter, die Unterlagen in dem kirchenrechtlichen Verfahren, das mit dem Ziel geführt wird, den Nachfolger Pius XI., Papst Pius XII. selig- und in einem zweiten Schritt heilig zu sprechen. In dem Interview macht Gumpel deutlich, wie sehr der Pacelli-Papst den Diktator Adolf Hitler abgelehnt habe. So habe Pius den getauften Katholiken Hitler zwar nicht exkommuniziert, wohl aber wiederholt einen Exorzismus an ihm vollzogen, weil er überzeugt war: "Dieser Mann ist vom Teufel besessen". Dies geschah ebenso wenig öffentlich, wie sich Pius grundsätzlich mit lautstarken Protesten gegenüber der Reichsregierung zurückgehalten hat - "ad maiora mala vitanda" wie er 1943 an den Bischof von Berlin schrieb, d.h. "um Schlimmeres zu verhüten". Er befürchtete, dass die Nazis solche Interventionen noch härter beantworten würden. Auch äußert sich Pater Gumpel zu dem Vorwurf, der Pacelli-Papst sei ein dezidierter Antisemit gewesen, woraus seine schärfsten Kritiker schließen, er habe zur Verfolgung und der Vernichtung der Juden geschwiegen, wie dies Rolf Hochhuth zur Kernaussage seines Bühnenstücks "Der Stellvertreter" macht, das vor 40 Jahren in Berlin uraufgeführt wurde.
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