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Neue Westfälische (Bielefeld): Kommentar Pflegetag Nur Taten zählen PETER STUCKHARD

Bielefeld (ots)

Es ist höchste Zeit! Kaum ein Thema ist in der letzten Wahlperiode von der Bundesregierung so nachlässig behandelt worden wie die Reform der Pflegeversicherung. Kein Wunder also, dass der Handlungsdruck für die Politik weiter gewachsen ist. Vertraut man ihren Ankündigungen, scheint die Koalition das begriffen zu haben. Zur Erinnerung: Das Grundproblem der Pflegepolitik liegt in allen Industrieländern in der demografischen Entwicklung. In Deutschland sind heute rund vier Millionen oder fünf Prozent der Bevölkerung älter als 80 Jahre. Für das Jahr 2050 sagt die amtliche Statistik bei einer auf 70 Millionen Einwohnern gesunkenen Bevölkerung einen Anteil von 10 Millionen, also satte 15 Prozent, vorher. Auch wenn die Menschen dann gesünder alt werden: Das Statistische Bundesamt schätzt, dass die Zahl der Pflegebedürftigen bis 2030 auf 3,4 Millionen, bis 2050 auf 4,5 Millionen steigen wird. Gleichzeitig, auch das gehört zur demografischen Entwicklung, nimmt die Zahl der Jungen ab. Dazu kommt eine durchaus begrüßenswerte gesellschaftliche Entwicklung: Die Erwerbstätigkeit wird in der heute oft nachhaltig in der Pflege ihrer alten Angehörigen engagierten Töchter- und Schwiegertöchtergeneration wachsen. Vor diesem Hintergrund muss die Politik endlich drei Problemfelder angehen. Das erste ist die immer wieder aufgeschobene und politisch von der Tagesordnung verdrängte Neudefinition des Begriffs der Pflegebedürftigkeit und seine praktische Umsetzung. Die Koalition will das nun "schnellstmöglich" nachholen. Auch wenn Menschen mit Demenz - und deren Zahl wird überproportional steigen - schon heute Leistungen bekommen, so muss doch das Gestrüpp aus Einzelregelungen bei ih-rer Zumessung ge-rodet werden. Die Politik muss endlich eine transparente Leistungsgerechtigkeit für Menschen mit körperlichen und Menschen mit seelisch-geistigen Beeinträchtigungen herstellen. Das zweite Problemfeld ist die Finanzierung der im Mai 20 Jahre alten sozialen Pflegeversicherung. Dazu ein bezeichnender volkswirtschaftlicher Indikator: Schweden gibt 3,5 Prozent, Holland 3,4 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts für Pflege aus. Deutschland nur 0,9 Prozent. Natürlich soll und wird die gesetzliche Pflegeversicherung eine Teilleistungsversicherung bleiben. Aber die immer größer werdende Lücke zwischen Eigenanteil und Versicherungsanteil - sie lag 2012 je nach Pflegestufe im stationären Bereich im Durchschnitt zwischen 1.350 und 1.690 Euro - muss angegangen werden. Die angekündigte Beitragserhöhung ist deshalb genauso unausweichlich und angebracht wie die Dynamisierung der Leistungen. Die als Pflege-Bahr bekannte staatlich geförderte private Zusatzversicherung hat sich schon jetzt als nutzlose Mischung aus neoliberaler Ideologie und staatlichem Kontrahierungszwang erwiesen. Das dritte und wahrscheinlich schwierigste Problemfeld sind die fehlenden Personalressourcen. Ohne Wenn und Aber: Pflege braucht mehr Wertschätzung, die Familienpflege mehr Unterstützung und die professionelle Pflege eine deutlich bessere Bezahlung. Für die Politik gilt ab sofort: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!"

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