Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Thema Agrarpreise:
Bielefeld (ots)
Der Weltindex für Agrarprodukte ist seit 1. Juni von 47,4 auf 60,1 Punkte gestiegen. Für uns nur ein Chart, für andere eine dramatische Geschichte: Der volle Einkaufswagen an der Supermarktkasse hat einmal 20 D-Mark gekostet, vor den Feiertagen durfte es auch ein Fünfziger sein. Inzwischen zahlen wir mit gleich lautenden Euro-Scheinen und legen meist noch drauf. Dennoch leiden wir nicht Not. Lebensmittel verzehren hierzulande um die 20 Prozent vom Einkommen. Aber man stelle sich vor, der normale Stopp beim Discounter koste 200 Euro, die große Einkaufswagentour durch die Regalschluchten 500 Euro. Unmöglich? Nein. Unbezahlbar? Ja - und zwar für zwei Drittel der Menschheit. Nicht nur von Rio bis Nairobi, auch für chinesische und indische Bauarbeiterfamilien sind Mais, Reis und Soja extrem teuer, Butter und Fleisch ein Festtagseinkauf. Deshalb macht es Sinn, dass sich die Europäische Union um eine Regulierung der Spekulation zumindest auf Getreide bemüht. Es gilt, Konsequenzen aus der Hungerkrise vor zwei Jahren zu ziehen, als die Preise für Agrarprodukte noch höher waren. Nach Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy wird jetzt auch in Deutschland immer lauter gefordert, der Handel mit sogenannten Terminkontrakten an den Getreidebörsen strengeren Regeln zu unterwerfen. Ist da etwas vergessen worden? Der aufmerksame Beobachter muss sich schon sehr wundern. Seit dem Ausbruch der globalen Finanzkrise am 15. September 2008 diskutiert die Fachwelt über eine bessere Kontrolle der Spekulation und dennoch ist die weltweite Gerechtigkeit auf der Strecke geblieben. Allein die USA, sonst viel gescholten, haben im Zuge ihrer Finanzmarktreform die Agrarmärkte transparenter gemacht und Preisgrenzen für Terminkontrakte eingeführt. Siehe da. Im Land der schärfsten Regulierungsgegner wurde erreicht, was Europas interventionsfreudige Regierungschefs auf ihren hohen Gipfeln nicht geregelt bekommen. Allerdings: Die von EU-Kommissar Michel Barnier geplanten Regeln entschärfen das Problem, lösen es aber nicht. Sein finanzpolitisches Instrumentarium reicht aus, um Spekulanten in deren trübe Suppe zu spucken, wenn einige wenige von der großen Trockenheit im Weizen-Exportland Russland spekulieren. Selbst die Tatsache, dass der Indus Pakistans Kornkammer verwüstete und den Zukauf von riesigen Mengen an Lebensmitteln bewirkte, spielt der Spekulation in die Hände. Die Politik muss grundsätzlicher handeln. Fairer Handel, die Befähigung mittlerer und armer Länder zur Selbstversorgung, aber auch deren Zulassung zur Teilhabe am Weltmarkt tragen zu echter Gerechtigkeit bei. Solange wir unsere Märkte abschotten und bei Almosen statt Arbeitsteilung bleiben, verharren Milliarden von Menschen unmittelbar an der Schwelle zum Hunger.
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