Westfalen-Blatt: Das WESTFALEN-BLATT (Bielefeld) zum Parteitag der Grünen
Bielefeld (ots)
Großes Tamtam um Spitzenkandidaten und alle Augen auf Claudia Roth: Diese Bilder dominierten den Parteitag der Grünen. Dabei gerät in Vergessenheit, dass es auch um Inhalte ging. Während die Republik über Schwarz-Grün spekuliert, hat sich die Partei programmatisch nicht auf Kanzlerin Angela Merkel zu, sondern einen Schritt nach links bewegt. Hartz IV erhöhen, Sanktionen aussetzen, Garantierente, Bürgerversicherung: Das klingt eher nach Sozialdemokratisierung als nach Schwarz-Grün. Eine konservativ wirkende Spitzenkandidatin wie Katrin Göring-Eckardt heißt noch lange nicht, dass die Grünen insgesamt konservativer werden. Inhalt und Köpfe sind zweierlei Dinge. Winfried Kretschmann, Fritz Kuhn, Göring-Eckardt - die Liste der so genannten bürgerlichen Grünen-Promis wird immer länger. Sie machen die Partei für die Mitte der Gesellschaft attraktiver, machen sie für neue Wählerschichten interessant. Doch so gut manche Köpfe zur CDU zu passen scheinen, die Parteien liegen bei zahlreichen Themen weit auseinander. Unvereinbar sind etwa die Positionen in der Steuer- und Europapolitik. Der Spagat zwischen Inhalt und Köpfen entlarvt ein Dilemma der Gesellschaft. Kopf vor Inhalt setzt sich immer mehr durch. Wer wegen der bürgerlicheren Kandidaten grün wählt, kauft gleichzeitig die Inhalte der Gesamtpartei ein. Die bewegt sich demonstrativ nicht in Richtung Kanzlerin - zumindest vor der Wahl. Ob die Absage an Merkel danach noch zählt, muss sich noch erweisen. Bei all den Farbenspielen stellt sich jedoch eine Frage: Was heißt konservativ? Ist Göring-Eckardt gleich konservativ und offen für die Union, weil sie Christin ist, nicht den schrillen Ton einer Claudia Roth anschlägt und biederer auftritt? Das ist die Argumentation derjenigen, die auf Köpfe setzen. Oder ist sie konservativ, weil sie die Agenda 2010 mit vorangetrieben hat? Das ist die Sichtweise derjenigen, die auf Inhalt setzen. Die müssen sich aber gefallen lassen, dass die Kandidatin nun von der Agenda 2010 abrückt. Offen spricht sie von Fehlern bei der Leiharbeit. Diese müssten behoben werden. Hier deutet auch ihr Finger nach links. Das wird Claudia Roth gefallen. Ihre Wahl zur Co-Chefin zeigt allerdings, dass die Sehnsucht nach konservativen Köpfen an der breiten Basis größer ist als bei den Delegierten. Schließlich entschied sich die Basis bei der Urwahl gegen Roth, die Delegierten wählten sie zur Vorsitzenden. Analysen haben gezeigt, dass der typisch grüne Wähler wohlhabender ist als beispielsweise der FDP-Wähler. Das hören zahlreiche Grüne gar nicht gerne, es widerspricht ihrem Selbstverständnis. Sie müssen sich wohl daran gewöhnen, dass in der grünen Seele Platz für viele ist: von Göring-Eckardt bis Roth, von Winfried Kretschmann bis Hans-Christian Ströbele. Manch große Volkspartei kann nur davon träumen, ein so breites Spektrum abzubilden.
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