Fuldaer Zeitung

Die Zahlen neu bewerten Kommentar der Fuldaer Zeitung (10. Oktober 2020) zu Corona-Beschränkungen

09.10.2020 – 20:20

Fulda (ots)

Es mag zu verschmerzen sein, vorübergehend die Lieblingskneipe nicht mehr nach 23 Uhr ansteuern zu können, eine Maske im Freien tragen zu müssen oder als Frankfurter die Herbstferien nicht mehr außerhalb der Stadtgrenzen zu verbringen. Wenn es wirklich hilft, die Pandemie einzudämmen und das eigene Risiko, an Covid-19 zu erkranken, zu minimieren, ist der Politik das Verständnis der Bevölkerung sicher. Doch zunehmend gerät die Datenbasis, auf der eine Vielzahl der Reglementierungen beruht, mit denen unser Leben gerade beschnitten wird, ins Wanken. Und damit stellt sich die Frage, ob nicht so manches, was aus den Daten abgeleitet wird, inzwischen eher blindem Aktionismus folgt als dem verantwortungsvollen, angemessenen Umgang mit der Pandemie.

Es findet ein Umdenken statt: Immer mehr seriöse Wissenschaftler zweifeln die Grenzwerte, nach denen wir bisher alles ausgerichtet haben, an. Allein die steigenden Fallzahlen in den Blick zu nehmen, bedeutet, das tatsächliche Infektionsgeschehen, das sich derzeit harmloser darstellt als noch im Frühjahr, auszublenden. Das beste Beispiel ist der Wert der Sieben-Tage-Inzidenz. Der Grenzwert wurde vor fünf Monaten (!) als Kompromiss (!) in Verhandlungen der Kanzlerin mit den Länderchefs auf 50 festgelegt - eine politische Entscheidung, keine wissenschaftlich begründete. Nun treibt das Spiel mit dem Wert seltsame Blüten, regelt, wo Schule stattfindet und wo nicht und gipfelt in einem (fast) bundesweiten Beherbergungsverbot für Menschen aus Gebieten, in denen der Wert überschritten wurde. Welchen Sinn hat es, dass ein Bürger einer Stadt mit Inzidenzwert 49 reisen darf und der Bürger aus dem Nachbarort mit 51 nicht?

Es wird Zeit, dass die Regeln von weiteren Parametern bestimmt werden - zum Beispiel der Zahl der Covid-19-Patienten in Krankenhäusern. Und es muss ein Strategiewechsel her, viel stärker ausgerichtet auf die Risikogruppen als auf die Gesamtbevölkerung. Denn eines ist nicht zu übersehen: Der "Kleine Lockdown", der vielerorts gerade eingeleitet wird, trifft die Wirtschaft erneut hart - und wird nicht ohne Folgen bleiben. Nicht nur das Gastgewerbe fragt sich: "Warum gerade wir?", wo die Branche doch hygienetechnisch aufgerüstet hat und nicht bekannt ist, dass es in Bars zuletzt zu größeren Ausbrüchen gekommen ist.

Minister Spahn hat kürzlich sinngemäß gesagt: Mit dem Wissen von heute war der Lockdown im Frühjahr unnötig. Und nun? Wir müssen beginnen, das Virus in unser Leben zu integrieren - statt das Leben ständig dem Virus anzupassen und dabei die Wirtschaft zu ruinieren. / Bernd Loskant

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