Schwäbische Zeitung: Ein modernes Kirchenoberhaupt - Leitartikel zur Seligsprechung von Papst Paul VI.
Ravensburg (ots)
Die Katholiken, vor allem in Deutschland, werden sich an den neuen Titel für den nördlich der Alpen umstrittenen Papst Paul VI. gewöhnen müssen. Hierzulande trägt er bis heute den bösen Spitznamen "Pillen-Paul", da er 1968 die künstliche Verhütung verdammte. Diese Zuspitzung ist falsch. Erst nach und nach erkennt die Kirche, dass Giovanni Battista Montini der erste wirklich moderne Papst war.
Die Seligsprechung wird verständlicher durch einen Blick in die Kirchengeschichte. Als der gelernte Vatikan-Diplomat Montini 1963 sein Amt antritt, hat Johannes XXIII., der charismatische Vorgänger, ein schweres Erbe hinterlassen. Das Zweite Vatikanische Konzil hat begonnen. Es soll den Kurs der Kirche korrigieren und Antworten auf Fragen der modernen Welt geben. Der neue Papst, der selbst wohl nie auf die Idee gekommen wäre, ein Konzil einzuberufen, kann das Vaticanum nicht abbrechen. Aber, so fragen damals viele Beobachter, wird PaulVI., ein Mann der Kurie, der Bischofsversammlung eine andere, weniger revolutionäre Richtung vorgeben? Dann wäre Montini in der Versenkung der Geschichte verschwunden.
Statt zu bremsen, und nur so kann man die Seligsprechung begründen, überwindet er sich, springt über seinen Schatten und erkennt die Chancen des Konzils. Denn PaulVI. ist persönlich zögerlich veranlagt und ein blasser Intellektueller. Mit seiner Wendung kann der jetzt Seliggesprochene damals wie heute seine Kritiker überzeugen: Denn die Bischöfe beschließen eine moderne Liturgie, die Öffnung der katholischen Kirche zu nichtchristlichen Religionen, fördern die Ökumene.
Der Papst nimmt die Konzilsgedanken auf: Die Reise nach Israel, die Rede vor der Uno, die Öffnung den kommunistischen Staaten gegenüber waren zuvor für einen Pontifex Maximus undenkbar. Er verschenkt die päpstliche Krone, die Tiara, zugunsten Bedürftiger.
Vor diesem Hintergrund erscheint die Seligsprechung richtig. Paul VI. - ein Vorbild? Ja: Für Zauderer und Zögerer, die Chance ihres Lebens zu erkennen und zu ergreifen.
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