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Ralf Stegner: Europa ist nicht dafür gemacht stillzustehen!

Kiel (ots)

"Europa ist nicht dafür gemacht stillzustehen", hat Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäischen Kommission, in der vergangenen Woche in seiner Rede zur Lage der Union klargestellt. Wie Recht er damit hat.

Die Europäische Union steht vor vielfältigen Herausforderungen. Noch immer sind die Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht überwunden, wenn ich allein an die horrende Jugendarbeitslosigkeit im Süden des Kontinents denke.

Noch immer sterben Menschen auf ihrem Weg nach Europa - fast 2.500 Menschen sind alleine in diesem Jahr im Mittelmeer ertrunken. Und in zu vielen Ländern werden die nationalen Interessen vor die europäischen gestellt. Wir müssen dafür nicht bis nach Polen oder Ungarn blicken.

"Europa ist nicht dafür gemacht stillzustehen": Darum gibt es zwei Möglichkeiten. Wir warten zaudernd ab, bis die Bewegung aus der Not heraus kommt - oder wir gehen kraftvoll voran. Mit einer starken Idee für ein besseres Europa. Und ein besseres Europa, das ist für uns ein solidarisches Europa.

Nur wenn es uns gelingt, dieses solidarische Europa zu schaffen, werden wir das großartige Friedensprojekt auch für kommende Generationen bewahren. Dies war eine einzigartige Erfolgsgeschichte nach dem 2. Weltkrieg und sicherte uns Frieden und Wohlstand, und wir haben die Verpflichtung, dies auch für die nachfolgenden Generationen zu verteidigen. In der Zeit der Trumps, Putins, Erdogans und Orbáns, aber auch der Le Pens, Straches und Gaulands ist dies enorm wichtig. Europa hat eine Unwucht. Einem weitgehend liberalisierten Markt fehlt das Gegengewicht der einheitlichen Sozialstandards.

Wir brauchen wirksame Schritte hin zu einer Sozialunion. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort - nicht weniger darf der Anspruch sein. Konkret bei uns im Land ist darum die von der Küstenkoalition neu eingerichtete Beratungsstelle Arbeitnehmerfreizügigkeit ein wichtiges Instrument. Sie gilt es, jetzt zu stärken und auszubauen.

Drastische Jugendarbeitslosigkeit in Portugal, Griechenland oder auch Italien darf für uns nicht zur Gewohnheit werden. Denn sie raubt jungen Menschen die Chancen, die ihnen zustehen und sie untergräbt den Glauben an das gemeinsame Europa. Darum braucht es einen permanenten europäischen Jugendbeschäftigungsfonds.

Und zur Solidarität gehört es auch, gemeinsame Lösungen für die Aufnahme von Flüchtlingen zu finden. Wir brauchen sichere Außengrenzen. Aber wir brauchen genauso sichere und legale Wege nach Europa. Nur so setzen wir der Hoffnungslosigkeit etwas entgegen, die Menschen zu Tausenden auf die lebensgefährliche Route über das Mittelmeer treibt.

In der Flüchtlingspolitik und auch beim Familiennachzug erleben wir ein Trauerspiel bei konservativen und rechten Parteien in Deutschland, die letzten wahltaktischen Wendungen der FDP, was hier geborene Flüchtlingskinder angeht, ist allerdings ebenfalls kritikwürdig.

Unseren Wohlstand und unsere Freiheit bringen wir nicht dadurch in Gefahr, dass wir Flüchtlinge aufnehmen. Aber wir riskieren beides, wenn wir die krassen globalen Ungerechtigkeiten ignorieren. Und wenn wir vergessen, dass die Generationen vor uns solche Ungerechtigkeiten nicht klaglos hingenommen haben.

Willy Brandt hat uns schon vor Jahrzehnten gemahnt, etwas gegen diese Ungerechtigkeiten zu unternehmen. Die Ergebnisse der Nord-Süd-Kommission sind heute noch so aktuell wie damals und als Handlungsfelder will ich nur die Stichworte Waffenexporte, Landwirtschaftspolitik oder globale Umweltzerstörung nennen.

Wer sich heute in Libyen, Westafrika oder der Türkei in ein löchriges Schlauchboot setzt, mag nicht in jedem Fall einen nach deutschem Recht legitimen Asylgrund vorweisen können. Und es gibt weiß Gott Veranlassung, den kriminellen Menschenhändlern ihr schmutziges Handwerk zu legen. Grund zur Flucht hat aber fast jeder dieser Menschen. Darum muss auch Schleswig-Holstein sein Möglichstes tun, um die Fluchtursachen in den Heimatländern zu bekämpfen.

Klar ist weiter: Bei der Aufnahme der Menschen, die es nach Europa geschafft haben, darf sich niemand aus der Verantwortung stehlen. Denn Europa ist mehr als ein großer Fördermitteltopf in Brüssel. Europa ist eine Wertegemeinschaft.

Und in einer solchen Gemeinschaft hat jeder nicht nur das Recht auf Strukturförderung, sondern auch gemeinsame Pflichten. Ja, sogar die Pflicht, die gemeinsamen Interessen vor die eigenen zu stellen. Auch darum brauchen wir ein einheitliches europäisches Asylrecht - übrigens ohne, wie die Konservativen das wollen, unsere eigenen Standards abzusenken.

Die Staaten Europas sind nur gemeinsam stark. Diese einfache Tatsache gilt auch in der Wirtschaftspolitik. Und darum ist es töricht und gefährlich, den Euroskeptikern leichtfertig das Wort zu reden. Wer das tut, verantwortet am Ende in einer globalisierten Welt die Massenarbeitslosigkeit im eigenen Land. Wie wir das ja von der hochgehypten Partei kennen, die mit Arbeitslosigkeit für Deutschland abgekürzt wird und "Grenzen hoch und Euro weg" fordert.

Stattdessen brauchen wir einen engagierteren europäischen Kampf gegen Steuerhinterziehung, wir brauchen gemeinsame Mindeststeuersätze, die dem Dumping einen Riegel vorschieben. Beim Kampf gegen Briefkastenfirmen und sogenannte Steueroasen sitzen die Bremser bei CDU und FDP. Und wir brauchen ein umfassendes europäisches Investitionsprogramm, das Europa aus der Wachstumsschwäche hilft.

Was wir brauchen, ist kein deutsches Europa. Sondern ein europäisches Deutschland. Und wenn wir die Menschen auf diesem Weg weiter mitnehmen wollen, dann müssen wir auch unangenehme Wahrheiten klar benennen. Dazu gehört auch, dass wir werden teilen müssen, wenn wir Frieden und Wohlstand in Europa halten wollen.

Wer Russland in den schärfsten Tönen kritisiert - Kritik ist notwendig, ob die Sanktionen Erfolge bringen, lasse ich mal dahin gestellt - darf über die anti-demokratischen Bestrebungen eines Viktor Orbáns nicht hinwegsehen.

Und erst recht sollte er ihn nicht als Ehrengast zu Parteiveranstaltungen einladen, wie das Ihre bayerischen Parteifreunde tun, Herr Ministerpräsident.

Wer eine massive Steigerung der Rüstungsausgaben im eigenen Land fordert - 30 Milliarden Euro mehr im Jahr will Angela Merkel, muss sich nicht wundern, wenn nationale Egoismen zunehmen. Wir finden, diese 30 Milliarden Euro sollten lieber in Bildung, Familie und Zukunft investiert werden.

Und wir müssen den Menschen klar sagen, dass unser gemeinsames Projekt Europa nicht durch Abwarten und Zögern wieder auf Kurs kommt. Sie kennen mich - zu rufen und nichts zu machen, reicht nicht. Es ist auch nicht der richtige Weg, den Skeptikern in vorauseilendem Gehorsam entgegen zu kommen und Schritt für Schritt Zuständigkeiten von Europa an die Nationalstaaten zurückzuschieben, bis am Ende nur noch ein "Europa-light" zurück bleibt - wie ich das in einem Kommentar gelesen habe.

Europa braucht Leidenschaft, Überzeugungskraft und Handlungsstärke. Denn es ist nicht dafür gemacht stillzustehen.

Pressekontakt:

Pressesprecher: Heimo Zwischenberger (h.zwischenberger@spd.ltsh.de)

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