Deutsche Reisbranche muss sich stärker digitalisieren
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Deutsche Reisebranche muss sich stärker digitalisieren
Aufholbedarf bei der Infrastruktur – Start-ups fallen positiv auf – Corona-Krise als Beschleuniger der Digitalisierung – Veranstalter freut sich über hohen Online-Buchungsanteil unter Best-Ager-Kunden – Zu viele Vorgaben im Gesundheitswesen
Frankfurt, 3. Februar 2022 – Bei der Digitalisierung liegt die deutsche Reisebranche allenfalls im Mittelfeld. Darin waren sich Referenten und Teilnehmer des eNetworking einig, in dem der Travel Industry Club (TIC) die „Baustelle Digitalisierung“ beleuchten ließ. „Wie fortschrittlich sind wir?“ stellte TIC-Vizepräsident Tom Fecke, Regional Director Central Europe & Managing Director Sabre Deutschland, als Moderator zum Auftakt die Gretchenfrage. „Das ist die häufigste Frage, die mir gestellt wird: Wo liegt die Reisebranche im Industrievergleich“, griff Johannes Erbslöh, Principal Director Travel Industry Strategy Consulting von Accenture, in seinem Impulsvortrag das Thema auf.
Accenture mit Hauptsitz in Dublin und der DACH-Zentrale in Kronberg bei Frankfurt ist einer der weltweit größten Dienstleister im Bereich der Unternehmens- und Strategieberatung mit weit über 600.000 Mitarbeitern. Erbslöh berät Führungskräfte bei der Umwandlung ihres Unternehmens in einen kundenorientierten Betrieb, der „Silos zwischen Business und IT überbrückt, um kontinuierlich digitale Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, die einen sinnvollen Einfluss auf die Kunden haben“. Auch wenn er betonte, von Benchmarking nicht allzu viel zu halten („…verleitet immer zu Mittelmaß“), wagte er den Industrievergleich in drei Punkten. Bei der Kundenschnittstelle liege die Reisebranche im vorderen Drittel: „Hier hat sich viel entwickelt, z.B. bei den Buchungsprozessen. „Ausbaupotenzial“ sieht er im travel recovery – „also wenn etwas nicht gut läuft“. Im guten Mittelfeld liegt die Branche im Prozessbetrieb, vergleicht man sie mit der Telekommunikation mit ihren hoch digitalisierten Verfahren bei Ummeldungen oder beim Anbieterwechsel. Solche Prozesse seien in der Reiseindustrie immer von hohem Personalaufwand begleitet. „Viel Aufholbedarf“ sieht der Referent bei der Infrastruktur. Der Grund liege unter anderem darin, dass die Reisebranche häufig durch Fusionen und Zukäufe gewachsen sei.
Erbslöh: „Durch unterschiedliche Software hat sich im Laufe der Jahre eine zu große Komplexität aufgebaut. Vor allem Start-ups, besonders im Bereich der Mobilität, sind Vorreiter“. Als Vertreter eines sehr erfolgreichen Start-ups nahm Pétur Müller an dem eNetworking teil. Er ist Co-Founder und Head of Sales der Freizeitplattform DynAmaze. Über dieses Online-Buchungssystem werden Restplätze von Freizeitanbietern vermittelt. Dabei werden die Preise laufend an die verfügbaren Kapazitäten angepasst. „Vor der Coronakrise dachte kaum eine Freizeiteinrichtung an Dynamic Pricing“, sagt Müller, „erst die Pandemie hat dazu beugetragen, dass man sich damit auseinandersetzt.“ Ein Problem sieht Müller in den verschiedenen Buchungssystemen der Partner: „Da herrscht vielfach Silodenken.“
Auch der Reiseveranstalter Leitner Reisen hat „die Krise als Chance“ zum Ausbau der Digitalisierung erkannt, wie Christoph Führer betonte. Der erfahrene Touristiker ist seit 2019 Geschäftsführer des Traditionsunternehmens. Gerade sei man dabei, eine digitale Kundenschnittstelle und („viel komplizierter“) eine Lieferantenschnittstelle auszubauen. Führer: „Wir wollen keine Belege mehr haben!“ Der Papierverbrauch soll um 90 Prozent gesenkt werden. Die Digitalisierung macht sich auch bei den Buchungen bemerkbar: Nicht ohne Stolz wies Führer darauf hin, dass es beim in erster Linie auf Best Ager ausgerichteten Angebot seiner Firma „einen sehr hohen Online-Buchungsanteil“ gibt.
Als einziger Vertreter eines nicht-touristischen Unternehmens verwies Patrick Förster, Head of Online Sales DAK Gesundheit, auf große Probleme bei der notwendigen Digitalisierung im Gesundheitsbereich. Die Konkurrenz sei mit „über 100 Playern am Markt“ besonders groß und der Vertrieb entsprechend hart umkämpft. Die Kundenerwartungen seien sehr hoch. Zudem bremsten viele Vorgaben – zum Beispiel gesetzliche Vorschriften oder der Datenschutz – die Digitalisierung aus. Dennoch habe die Pandemie einen Digitalisierungspush gebracht. Die Baustelle wird somit ein klein wenig kleiner.
Moderator Tom Fecke abschließend: „Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass touristische Anbieter entlang der Wertschöpfungskette an der Digitalisierung arbeiten, die Pandemie die Geschwindigkeit drastisch erhöht und Weichen gestellt hat. Es gibt aufgrund der langsamen Geschäftserholung Herausforderungen in der Finanzierung und entsprechender Ressourcen. Es bleibt somit spannend.
Der 2005 gegründete Travel Industry Club TIC ist der Wirtschaftsclub der Geschäfts- und Privatreiseindustrie, im dem sich Macher, Beweger und Nachwuchsführungskräfte treffen. Es werden komplexe Zukunftsthemen erörtert und Ideen entwickelt – und das auch mit dem Blick über den touristischen Tellerrand hinaus. Mit seiner Arbeit rückt der TIC auch die wirtschaftliche Bedeutung der Reiseindustrie stärker ins Licht der Öffentlichkeit. Er bringt mit dem Young TIC den Nachwuchs mit den führenden Akteuren der Branche zusammen. Rund 550 Mitglieder profitieren von Veranstaltungen verschiedener Formate sowie von touristischer Trendforschung und haben die Möglichkeit Teil des Think Tank der Reiseindustrie zu werden. Das 9-köpfige Präsidium - bestehend aus Unternehmenslenkern, Beratern und Professoren - arbeitet ehrenamtlich im Sinne der Tourismus-Förderung.
Ihr Kontakt für Rückfragen: Dirk Bremer, Präsident, Travel Industry Club dirk.bremer@travelindustryclub.de; Tel: +49 69 9511 997 – 14