Narbenbruch: Von Knubbel bis Kürbis
Hamburg (ots)
Am 3. November 1954 starb der französische Künstler Henri Matisse an den Folgen eines Narbenbruchs. Seit 2018 gilt sein Todestag in Deutschland als "Tag der Hernie" - und soll auf ein weit verbreitetes, aber oft unterschätztes gesundheitliches Problem aufmerksam machen.
Die Bauch-OP ist gut verlaufen, der Patient hat sich erholt und ist längst wieder auf den Beinen - ist die "Schwachstelle Bauch" damit ein für alle Mal erledigt? Vielfach leider nein: Gut 20% der Betroffenen entwickeln nach größeren Operationen im Bauchbereich einen Narbenbruch, auch Narbenhernie genannt. Doch worum geht es hier genau? "Anders als man vielleicht denkt, handelt es sich beim Narbenbruch nicht um ein äußerlich sichtbares Aufreißen der Wundnähte", erklärt der Hamburger Hernien-Experte Dr. Wolfgang Reinpold. "Stattdessen bildet sich der Bruch im inneren Narbengewebe - also im Bereich der Bauchwand, die als flexible Hülle der Bauchhöhle die inneren Organe zusammenhält und vor äußeren Einflüssen schützt."
Gemeinsam mit seinem Chefarzt-Kollegen Prof. Henning Niebuhr führt Reinpold das spezialisierte Hamburger Hernien Centrum. Hier werden pro Jahr 3000 Patienten mit verschiedenen Hernien-Arten von einem insgesamt vierköpfigen Spezialisten-Team versorgt. Die Nachfrage ist groß, denn: Jeder vierte Mann und zwei von 100 Frauen erkranken mindestens einmal im Leben an einer Hernie. Bekanntestes Beispiel ist der Leistenbruch, der anatomisch bedingt vorwiegend bei männlichen Patienten auftritt. Vom Narbenbruch hingegen sind Frauen wie Männer gleichermaßen betroffen - insgesamt zählt Deutschland rund 80.000 Fälle pro Jahr.
Top 3-Risikofaktoren: Bindegewebsschwäche, Übergewicht und Rauchen
"Besonders gefährdet sind Menschen mit Wundheilungsstörungen, in der Regel bedingt durch eine Bindegewebsschwäche", erklärt Prof. Henning Niebuhr. "Auch Übergewicht gehört zu den Top-Risikofaktoren für einen Narbenbruch - wegen des hohen Drucks im Bauchinneren und weil OP-Nähte bei großen Mengen an Fettgewebe oft weniger exakt sind." Auch wichtig zu wissen: Rauchen erhöht das Narbenbruch-Risiko um ein Vierfaches.
Henri Matisse starb am 3.11.1954 an den Folgen eines Narbenbruchs
Bei Henri Matisse, dessen Todestag die Hernien Selbsthilfe Deutschland e. V. jährlich am 3. November den "Tag der Hernie" widmet, brach eine Narbe nach einer eigentlich erfolgreichen Dickdarm-Krebs-OP. Über zwölf Jahre litt der weltberühmte Maler an starken Schmerzen, die ihn an Rollstuhl und Bett fesselten, was letztlich zum Tod führte. Solch eine Leidensgeschichte muss mittlerweile keiner mehr durchmachen - eigentlich. Doch die Hernien-Spezialisten aus Hamburg erleben auch heute noch ähnliche Fälle, insbesondere in Verbindung mit Narbenbrüchen.
Ein anhaltendes Problem: Riesige Narbenhernien - schwere Beeinträchtigungen der Lebensqualität
Dr. Halil Dag, einer der Oberärzte am Hamburger Hernien Centrum, erinnert sich an eine Patientin, deren Narbenhernie mehrfach operiert, aber nie erfolgreich behoben wurde. Im Gegenteil: "Die Dame hatte eine Krankheitsgeschichte von mehr als acht Jahren im Gepäck, als sie aus der Türkei zu uns nach Hamburg kam." Zwar wurde ihre Hernie auch im Heimatland gemäß internationalen Leitlinien mit Kunststoffnetzen versorgt, doch es kam immer wieder zum Wiederholungsbruch. Es folgten Verwachsungen und Entzündungen im Bereich der implantierten Netze. "Im Laufe der Zeit war der Bruch Fußball-groß geworden. Die Patientin hatte starke Schmerzen, sie konnte sich kaum noch bewegen und auch das Essen bereitete ihr große Probleme", berichtet Dr. Dag.
Das Patientinnen-Beispiel ist dramatisch, jedoch nach wie vor kein Einzelfall. Denn gerade für Narbenhernien ist typisch: Unbehandelt reißen die Brüche weiter auf, innerhalb kurzer Zeit können sie riesig groß werden - und zu schweren Komplikationen führen. Das passiert zum Beispiel, wenn mögliche Folgen unterschätzt werden und Patienten den anfänglichen "Knubbel" als primär kosmetischen Makel abtun. "Nicht selten wird das Problem auch verdrängt - aus Angst vor einer erneuten großen OP oder aus Scham, weil ein fortgeschrittener Narbenbruch nicht gerade ästhetisch daherkommt", ergänzt Prof. Niebuhr.
MILOS OP bei Narbenbruch: Komplikationen rechtzeitig vermeiden
Dabei ist ein Narbenbruch - sofern rechtzeitig behandelt - recht schnell und unkompliziert behoben. Zwar ist so gut wie immer eine OP von Nöten, diese ist aber oftmals mit nur kleinen Schnitten und für Patienten sehr schonend möglich. "Die meisten sind nach wenigen Tagen wieder körperlich belastbar und einige Wochen nach dem Eingriff sind auch schwere Arbeit oder extreme Sportarten wieder wie früher möglich", macht Dr. Reinpold Mut.
Reinpold selbst hat mit dem sogenannten MILOS Verfahren eine OP-Technik entwickelt, mit der Komplikationen wie im Beispiel der türkischen Patientin signifikant reduziert werden. "Aus der Leistenbruchchirurgie wussten wir, dass minimal-invasive Verfahren samt Netzeinlage außerhalb der empfindlichen Bauchhöhle besonders erfolgreich sind. Noch vor wenigen Jahren stand jedoch für Hernien oberhalb der Leiste kein vergleichbares Verfahren zur Verfügung. Diesem Problem haben wir uns als Hamburger Team angenommen und die MILOS Operation entwickelt", so der Experte. MILOS steht für MIni or Less Open Sublay und ermöglicht es als erste Technik weltweit, das Kunststoffnetz minimal-invasiv außerhalb der Bauchhöhle einzubringen, wo es nicht durch Krampen oder Tacker zusätzlich fixiert werden muss. Schmerzen und Komplikationen wie Organverletzungen, Blutungen, Entzündungen oder Wiederholungsbrüche werden auf ein Minimum reduziert, wofür mittlerweile mehrere hochrangig publizierte Studien und die Nachfrage von Chirurgen aus aller Welt sprechen.
"Der Bruch ist zu groß für eine OP": Eine bedenkliche Einschätzung
Doch es gibt auch Narbenbrüche, bei denen minimal-invasive Verfahren an ihre Grenzen stoßen. So sehen die Hamburger Chirurgen einige Patienten erst dann, wenn die Brüche bereits extreme Ausmaße angenommen haben. Prof. Niebuhr: "Kürbis-große Narbenhernien von 40 cm und mehr sind keine Seltenheit. Der vor dem Bauch hängende Bruchsack ist dann oftmals größer als die eigentliche Bauchhöhle. Die darin befindlichen Organe können häufig nicht mehr zurück in den Bauchraum gedrückt werden."
Auf der Suche nach Hilfe erhalten viele Betroffene keine oder unbefriedigende Antworten. "Hören Patienten von Ärzten, dass ihr Bruch zu groß für eine OP ist und sie damit leben müssen, ist das nicht nur frustrierend, sondern auch gesundheitlich bedenklich", warnt Niebuhr. Denn: Neben den immensen kosmetischen Beeinträchtigungen leiden diese Patienten unter starken Schmerzen, Magen-Darm-Beschwerden eingeschränkter Mobilität. "Eine effektive operative Versorgung ist daher für eine Verbesserung der Lebensqualität unbedingt und schnellstmöglich erforderlich", so Prof. Niebuhr.
Intraoperative Faszien Traktion (IFT): Neue Option bei sehr großen Hernien
Riesige Narbenbrüche stellen jedoch eine besondere chirurgische Herausforderung dar. Gängige Verfahren sind technisch aufwendig und mit nicht unerheblichen Komplikationsrisiken verbunden. Eine neue, für Patienten deutlich schonendere Option ist die sogenannte Intraoperative Faszien Traktion (IFT) - eine weitere Hamburger Innovation, entwickelt von Prof. Niebuhr und Kollegen. Dabei handelt es sich um eine in der Hernienchirurgie neuartige Methode, die den spannungsarmen Verschluss sehr großer Brüche ermöglicht. Mithilfe eines speziellen Gerätes wird während der OP ein kontrollierter Zug auf die Bauchwand ausgeübt und die Faszien werden intensiv gedehnt. "So können wir auch komplizierte Hernien gewebeschonend und in relativ kurzer Zeit verschließen", fasst Prof. Niebuhr zusammen.
"Darüber hinaus machen wir uns auch bei diesen deutlich größeren OPs die Grundprinzipien des MILOS Verfahrens zu Nutze", fährt Niebuhr fort. "So setzen wir auch bei extrem großen Hernien auf die Kunststoffnetzeinlage außerhalb der Bauchhöhle, um Darm und Eingeweide zu schützen und Komplikationen zu vermeiden." Außerdem ermöglicht die Kombination aus IFT und MILOS auch bei großen Hernien eine OP mit relativ kleinen Hautschnitten, während zuvor die gesamte Narbe neu eröffnet werden musste. "Mit der Zusammenführung der zwei großen Spezialisierungen unseres Hernienzentrums können wir für unsere Patienten das bestmögliche Ergebnis erreichen", fasst Niebuhr zusammen.
"Tag der Hernie": Hamburger Experten begrüßen den Appell für mehr Aufklärung
Ob Leistenbruch, Nabelbruch oder eben Narbenbruch: Obwohl Hernien in Deutschland als Volkskrankheit gelten und in der Hernienchirurgie in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erreicht wurden, herrscht noch viel Un- bzw. Halbwissen. Dafür sprechen direkte Patientengespräche, aber auch der Blick in Publikumsmedien und insbesondere die vielen Diskussionen in sozialen Netzwerken. Noch oft wird über eigentlich längst abgelöste OP-Verfahren und damit verbundene Risiken berichtet, während moderne Möglichkeiten noch nicht hinlänglich bekannt sind. "Wir unterstützen den Appell des Aktionstags am 3. November für mehr Aufklärung daher ausdrücklich und danken den Initiatoren von der Hernien-Selbsthilfe Deutschland e. V. für ihr wichtiges Engagement", so Dr. Reinpold im Namen des Hamburger Hernien Centrums.
Über das Hamburger Hernien Centrum (HHC)
2021 haben sich die international führenden Hernien-Spezialisten Prof. Henning Niebuhr und Dr. Wolfgang Reinpold mit zwei Oberärzten zum Hamburger Hernien Centrum (HHC) zusammengeschlossen. An mehreren Standorten in Hamburg werden alle Hernientypen behandelt - darunter Leisten-, Schenkel-, Nabel-, Bauchwand-, Narben- und Zwerchfellbrüche sowie Rektusdiastasen und Sportlerleisten. Im Hamburger Hernien Centrum werden entscheidende, von den beteiligten Chirurgen entwickelte, Innovationen zusammengeführt und Patienten über den gesamten Behandlungsprozess von spezialisierten Fachärzten begleitet.
Weblinks zu den angesprochenen Themen:
- Hamburger Hernien Centrum
- Narbenbruch
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- Intraoperative Faszien Traktion
- Hernien-Selbsthilfe Deutschland e. V.
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