"Ökologisch vorteilhaft"? - Pfandprivileg für Getränkekartons muss überprüft werden
Berlin (ots)
Getränkekartons bestehen immer mehr aus Kunststoff und Aluminium und immer weniger aus Zellstoff - Reale Recyclingquoten kaum mehr als halb so hoch wie von der Industrie behauptet - Deutsche Umwelthilfe hält Befreiung von der Pfandpflicht nicht mehr für gerechtfertigt und fordert von Umweltminister Röttgen Überprüfung der Einstufung des Getränkekartons als "ökologisch vorteilhaft"
Heute verkaufte Getränkekartons erfüllen nach Überzeugung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) nicht mehr die Kriterien, die ihr vor annähernd zehn Jahren das Prädikat "ökologisch vorteilhaft" eingebracht haben. DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch fordert deshalb von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) eine Aktualisierung der veralteten Ökoanalysen, die der Einstufung von Getränkekartons als ökologisch vorteilhafte Einweggetränkeverpackungen zu Grunde liegen. "Untersuchungen der DUH zeigen, dass heute Kunststoffverpackungen mit Papierüberzug als Getränkekartons vertrieben werden. Sie werden größtenteils nicht mehr oder nicht mehr hochwertig recycelt. Damit steht praktisch fest, dass die Befreiung dieser Einweggetränkekartons von der Pfandpflicht nicht mehr gerechtfertigt ist", sagte Resch.
Die heute in den Verkaufsregalen angebotenen Getränkekartons hätten mit den um die Jahrtausendwende im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA) aufwändig begutachteten Pappkartons nicht mehr viel gemein. Sie seien im Durchschnitt deutlich schwerer, enthielten zunehmend Kunststoffe und Aluminium und immer weniger Zellstoff. Vor allem aber würden heute weder die damals für die Öko-Einstufung geforderten hohen Recyclingquoten erreicht, noch die Kriterien für ein hochwertiges Recycling. Die Ökoanalysen die seinerzeit zur Befreiung von der Pfandpflicht führten, gingen von einer Verwertungsquote von 64 Prozent aus. Nach Berechnungen der DUH werden mittlerweile jedoch nur noch rund 35 Prozent des Verpackungsmaterials von in Deutschland geleerten Getränkekartons recycelt.
"Die vom Fachverband Kartonverpackungen für flüssige Nahrungsmittel FKN jährlich veröffentlichte Recyclingquote von 65 Prozent ist kaum mehr als eine Zahlenspielerei. Sie hat mit der Realität wenig und mit Verbrauchertäuschung umso mehr zu tun", kritisierte Resch die Kartonlobby. Die tatsächlich erreichte Recyclingquote für in Deutschland geleerte Getränkekartons liege mit etwa 35 Prozent bei kaum mehr als der Hälfte des offiziell verkündeten Werts. Die DUH forderte deshalb von Bundesumweltminister Röttgen und seinen Kolleginnen und Kollegen in den Bundesländern eine umgehende kritische Überprüfung der angeblichen ökologischen Vorteile der Getränkekartons. "Wenn dem Getränkekarton im Rahmen der Neubewertung die ökologische Vorteilhaftigkeit aberkannt wird, entfällt automatisch auch das Pfandprivileg", erklärte Resch.
Die vom FKN veröffentlichte Recyclingquote bezieht sich zunächst nur auf den Teil der Getränkekartons, der tatsächlich in gelben Tonnen und Säcken gesammelt und anschließend in Sortieranlagen aussortiert wird. In Deutschland wurden nach den Erhebungen der Gesellschaft für Verpackungsmarktforschung (GVM) im Jahr 2007 etwa 219.500 Tonnen Getränkekartons in Verkehr gebracht, aber nur drei Viertel gesammelt und davon wiederum nur etwa 146.500 Tonnen aussortiert und an Verwertungsanlagen weitergegeben. Die Tonnage der angelieferten "Getränkekartons zur Verwertung" geht zudem voll in die Statistik der Kartonbranche ein. Abzüge für Restinhalte, Feuchtigkeit, Anhaftungen und Fehlwürfe sind nicht vorgesehen. "Bei den vom FKN ermittelten Verwertungsquoten werden Milchreste und Anhaftungen als Teil des Kartongewichts mitgerechnet, was zu einer scheinbaren Erhöhung der Recyclingquote führt", sagte Resch. Eigene Untersuchungen der DUH belegen Gewichtsunterschiede von 15 bis 60 Prozent zwischen den normal restentleerten Getränkekartons und solchen, die nachträglich ausgewaschen und getrocknet werden. Aus einem vorsichtig-konservativ bemessenen Abzug von 20 Gewichtsprozent für Restinhalte, Anhaftungen und Fehlwürfe ergibt sich ein Wert von nur noch 117.200 Tonnen Verpackungsmaterial, das tatsächlich bei den Verwertungsanlagen ankommt.
Im vergangenen Jahr hat sich der Anteil der in den Verwertungsanlagen behandelten Getränkekartons weiter verringert, weil sortierte Getränkekartons aufgrund fehlender Verwertungskapazitäten und schlechter Lagerung zu Teilen einfach verbrannt wurden. Die DUH schätzt diese Menge auf 10 Prozent. Vom angenommenen Ausgangswert von 219.500 Tonnen in Verkehr gebrachter Getränkekartons (Zahl für 2007, die sich aber kaum verändert haben dürfte), blieben so 2009 nur rund 105.500 Tonnen trockenes, sauberes Getränkekartonverpackungsmaterial für die Verwertung übrig.
Was genau geschieht im Rahmen der Verwertung mit den gesammelten Getränkekartons? Sowohl der FKN als auch Getränkekartonhersteller wie die Tetra Pak GmbH & Co KG sprechen von einer Recyclingquote bzw. vom Recycling der getrennt gesammelten Getränkekartons. Die Wortwahl suggeriert eine stoffliche Verwertung, also eine Rückführung der Verpackungsmaterialien in den Stoffkreislauf. Doch in den im vergangenen Jahr belieferten Verwertungsanlagen wurde nur der Papieranteil der Getränkekartons recycelt (im Fachjargon: "werkstofflich verwertet"); der insgesamt zunehmende Kunststoffanteil in den Kartons wurde dagegen verbrannt und der Aluminiumanteil als Bauxitersatz in der Zementherstellung eingesetzt. Nach den Berechnungen der DUH wurden 2009 demnach nur insgesamt ca. 76.000 Tonnen Papier aus den insgesamt etwa 219.500 Tonnen in Verkehr gebrachten Getränkekartons tatsächlich recycelt. Daraus ergibt sich eine realistische Recyclingquote von gerade noch 35 Prozent. Eine graphische Übersicht der Stoffströme der in Deutschland zur Verwertung anfallenden Getränkekartons kann unter http://www.duh.de/pressemitteilung.html?&tx_ttnews[tt_news]=2114 heruntergeladen werden.
Unabhängig von der Frage der "ökologischen Vorteilhaftigkeit" fordert die DUH im Sinne einer umwelt- und ressourcengerechten Entsorgung für Getränkekartons sowohl eine Mindestsammelquote als auch eine spezifische Verwertungsquote mit konkreten Qualitätsstandards.
Die faktische Halbierung der Recyclingquote gegenüber den Branchenangaben verschlechtert nach Ansicht der DUH implizit die Umweltbilanz des Getränkekartons dramatisch. Hinzu kommen weitere Umweltbelastungen durch Ferntransport leerer Gebinde. Im vergangenen Jahr wurden beispielsweise Getränkekartons in der Verantwortung der Duales System Deutschland GmbH etwa 1.500 Kilometer nach Spanien zur Verwertung transportiert. Nach Informationen der DUH recycelten die Unternehmen auch dort nur den Papieranteil. Die so genannten Rejekte (Kunststoff- und Aluminiumgemisch) wanderten offensichtlich zumindest teilweise auf die Deponie. Darüber hinaus wurde 2009 eine erhebliche Menge der Getränkekartons in Müllverbrennungsanlagen "verwertet".
Die Materialzusammensetzung und Herstellung der Getränkekartons spielen für die Bewertung ihrer Ökobilanz eine wichtige Rolle. Gegenüber den Annahmen in der vom Umweltbundesamt 2002 veröffentlichten Ökobilanz wurden in neueren Ökobilanzen Gewichtssteigerungen von mehr als 20 Prozent und in einer Untersuchung der DUH von fast 50 Prozent festgestellt. Deutlich ist auch der "Plastifizierungs-Trend" der Kartons. In einer aktuellen Werbekampagne für Getränkekartons der Tetra Pak GmbH & Co.KG wird vor allem darauf hingewiesen, dass Getränkekartons aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Der Name "Getränkekarton" soll belegen, dass es sich um eine Verpackung aus Karton oder Papier handelt. Das ist aber nur ein Teil der Wahrheit, und zwar ein schrumpfender. Die Ökoanalyse des Umweltbundesamtes ging im Jahr 2000 von einem durchschnittlichen Papieranteil der Getränkekartons in Höhe von 75 Prozent aus. Eine aktualisierte, von der Getränkekartonindustrie selbst in Auftrag gegebene Ökobilanz belegt anhand der Daten der Getränkekartonhersteller, dass der Zellstoffanteil für Getränkekartons oft deutlich unter diesem Wert liegt - für einige Gebinde bei nur noch 60 Prozent. Der Kunststoffanteil ist entsprechend gestiegen und beträgt bis zu 34 Prozent. Schließlich besteht ein Getränkekarton zu bis zu 6 Prozent aus Aluminium.
"In den vom Umweltbundesamt nach der Jahrtausendwende veröffentlichten Ökobilanzen wurden zum Teil wohlwollende Annahmen hinsichtlich der zukünftigen Herstellung, Sammlung und Verwertung von Getränkekartons gewählt. Aktuellere Informationen zeigen, dass die Annahmen nicht immer korrekt waren. In einigen Fällen - wie etwa beim Durchschnittsgewicht und Papieranteil - ist sogar ein gegensätzlicher Trend zu erkennen", bedauerte Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft bei der DUH die Entwicklung. Die DUH halte vor diesem Hintergrund eine kritische und unabhängige Überprüfung der angeblichen ökologischen Vorteile von Getränkekartons für überfällig.
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Maria Elander, Leiterin Kreislaufwirtschaft, Deutsche Umwelthilfe
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