Bundesregierung setzt Vorreiterrolle im Klimaschutz mit mangelhaftem CO2-Zuteilungsplan aufs Spiel
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Berlin (ots)
Wegen tief greifender Mängel im "Nationalen Allokationsplan" NAP 2 fürchtet die Deutsche Umwelthilfe, dass der Emissionshandel mit Kohlendioxid-Zertifikaten insgesamt in Misskredit gerät - statt der Wirtschaft anspruchsvolle Minderungsverpflichtungen beim Kohlendioxid aufzuerlegen, erweist sich der Plan der Regierung eher als Lizenz zur Emissionssteigerung - Es besteht ein hohes Risiko, dass der Staat in großem Stil von ihm selbst kostenlos verteilte Zertifikate später von den Energiekonzernen zurückkaufen muss - DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake ruft Bundestag und Bundesrat auf, "als Gesetzgeber die Notbremse zu ziehen"
08. September 2006: Der vom Bundeskabinett bereits verabschiedete Zuteilungsplan für Treibhausgase bis 2012, droht sein Ziel einer anspruchsvollen Verringerung der klimaschädlichen Abgase aus Energiewirtschaft und Industrie deutlich zu verfehlen. Möglich ist wegen "tief greifender Mängel in der konkreten Ausgestaltung" des so genannten nationalen Allokationsplans 2 (NAP 2) sogar ein Anstieg der klimaschädlichen Gase in Deutschland. Darauf hat die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) in Berlin hingewiesen und außerdem davor gewarnt, dass am Ende sogar der Staat zuvor an große Energiekonzerne kostenlos verteilte Zertifikate mit dreistelligen Millionenbeträgen pro Jahr zurückkaufen müsse.
"Wenn der Emissionshandel wegen schwerer handwerklicher Mängel in Misskredit gerät und seine Ziele verfehlt, werden wir uns über kurz oder lang eines der europa- und weltweit wirksamsten Instrumente zur Eindämmung des Treibhauseffektes selbst aus der Hand schlagen", mahnte der neue DUH-Bundesgeschäftsführer Rainer Baake. Anlässlich seiner Analyse des vom Bundeskabinett bereits verabschiedeten Plans wies Baake darauf hin, dass der Handel mit Kohlendioxid-Zertifikaten entgegen zuletzt weit verbreiteter Vorurteile bereits in seinem Startjahr 2005 seine Wirksamkeit eindrucksvoll bewiesen habe. Anhand der neuesten - gegenüber früher korrigierten - Datensätze der Bundesregierung über die nationale Treibhausgaslast lasse sich zeigen, dass die Emissionen aus den vom Zertifikathandel erfassten Sektoren Energiewirtschaft und Industrie nach einem Anstieg bis 2004 im Jahr 2005 erstmals wieder kräftig gesunken seien. "Trotz einer von der Industrie unterschriebenen Selbstverpflichtungserklärung zur Treibausgasminderung stiegen die Emissionen bis 2004 massiv an und sie sanken im Jahr 2005, als der Emissionshandel eingeführt wurde. Dieser Befund gibt Anlass zu Optimismus." Allerdings drohe der Anfangserfolg zur Episode zu werden, "wenn Bundestag und Bundesrat als Gesetzgeber nicht die Notbremse ziehen."
Im Einzelnen warf Baake der Bundesregierung vor, die Öffentlichkeit mit einer in Wirklichkeit nur "virtuellen Minderungsverpflichtung" für die Energiewirtschaft zu täuschen. Zum einen werde die Minderungsverpflichtung gegen ein Emissionsniveau gerechnet, dass längst deutlich unterschritten sei. Zum anderen enthalte der Plan Regelungen mit denen die Stromwirtschaft Minderungsverpflichtungen durch den Scheinbetrieb von Anlagen problemlos ausgleichen könne. Aktiver Klimaschutzmaßnahmen bedürfe es dafür nicht. Weil in Zukunft überschüssige Zertifikate von Anlagen, die in der Handelsperiode weit unter ihrer bisherigen Kapazitätsauslastung eingesetzt wurden, nicht mehr nachträglich vom Staat eingezogen werden sollen, erwartet der DUH-Geschäftsführer, dass die Unternehmen von der so genannten "Übertragungsregel" keinen Gebrauch mehr machen werden. Sie hat bisher als Modernisierungsanreiz gewirkt. Nach dieser Regel kann ein Betreiber, wenn er eine ineffiziente Altanlage stilllegt, die Zertifikate der Altanlage für vier Jahre ungekürzt auf seine Neuanlage übertragen. Unter den neuen Bedingungen ist es jedoch viel lukrativer, die Altanlage mit geringer Leistung im Scheinbetrieb weiterzufahren und dafür die volle Zertifikatausstattung zu kassieren. Die Neuanlage wird dann - wie die eines Neulings am Markt - kostenlos aus dem so genannten Reservetopf mit Zertifikaten bedient. Perverse Folge: Diese Reserve wird schnell erschöpft sein und am Ende muss der Staat zuvor kostenlos an die Energieversorger verteilte Emissionszertifikate (etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, KfW) am Markt aufkaufen, um den Reservetopf für Neuanlagen aufzufüllen. Dreistellige Millionen-Eurobeträge pro Jahr müssten letztlich aus Steuergeldern bereitgestellt werden. (Zwar gibt es einen Rechtsstreit mit der EU-Kommission wegen der deutschen Regel im NAP 1, Zertifikate aus dem Scheinbetrieb von Anlagen einzuziehen. Doch hat die Bundesregierung nach Informationen der DUH beste Chancen, das Verfahren zu gewinnen.)
Außerdem wirft die DUH der Regierung vor, auf eine europarechtlich zulässige Teil-Versteigerung der Zertifikate zu verzichten, weil sie den Konflikt mit den Energieunternehmen scheue. Bei einer Teilversteigerung würden die Unternehmen zwar die Kosten in die Stromtarife "einpreisen", doch das haben sie bisher auch schon getan und kassieren so immense Sondergewinne - obwohl die Zertifikate vom Staat kostenlos ausgegeben wurden. Bei einer Versteigerung könnte der Staat die erzielten Einnahmen zum Beispiel zur Senkung der Stromsteuer einsetzen und so Preis dämpfend am Strommarkt wirken. Die Konsumenten könnten so um ca. 3,7 Milliarden Euro entlastet werden.
Die DUH kritisiert, dass der Verzicht auf ambitionierte Minderungsanforderungen an Energiewirtschaft und Industrie dazu führt, dass die so entstehende "klimapolitische Deckungslücke" auf die nicht vom Zertifikathandel erfassten Sektoren private Haushalte und Verkehr verschoben wird.
Der DUH-Geschäftsführer forderte die Abgeordneten des Bundestages und die Länderregierungen auf, den Nationalen Allokationsplan 2 nicht in der vorliegenden Form zum Gesetz werden zu lassen und legte in seiner Analyse entsprechende Korrekturvorschläge vor: "Das Mengenziel muss erheblich ambitionierter festgelegt werden und die Möglichkeit, einen Teil der Zertifikate zu versteigern, sollte genutzt werden". Außerdem dürfe der Staat keinesfalls auf ein Instrument gegen den Scheinbetrieb von Energieanlagen verzichten. Sonst wirke "der Emissionshandel als Stilllegungsprämie und der Staat würde in letzter Konsequenz den Kapazitätsabbau in Deutschland und die Verlagerung industrieller Produktion ins außereuropäische Ausland mit großzügig verschenkten Zertifikaten subventionieren."
Für Rückfragen: Rainer Baake, Bundesgeschäftsführer, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Mobil.: 0151 55016943, Fax.: 030 258986-19, E-Mail: baake@duh.de
Dr. Gerd Rosenkranz, Leiter Politik, Hackescher Markt 4, 10178 Berlin; Tel.: 030 258986-0, Fax.: 030 258986-19, Mobil: 0171 5660577, E-Mail: rosenkranz@duh.de
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