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Pressestimmen: Interview zu Iran mit Wolfgang Thierse

Berlin (ots)

Berlin. Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat
sich gegen ein militärisches Eingreifen in Iran ausgesprochen und die
militärische Strategie der Amerikaner scharf kritisiert.
"Man muss sich auf die Verhältnisse einlassen, um sie zu
verändern", sagte er in einem Gespräch mit dem Tagesspiegel. "Ich
möchte mich nicht daran gewöhnen, dass wir in immer neuen Ländern
Demokratisierungskriege führen". Und: "Wir haben einen Konflikt, ein
Land zeigt sich uneinsichtig, störrisch, und darum überziehen wir es
mit Krieg - das darf nicht das Grundmuster der Weltpolitik werden."
Über die Folgen des Krieges im Irak sagte er: "Die Mühsal des
Wiederaufbaus ist erheblich größer, als die amerikanischen
Weltpolitiker sich eingebildet haben."
Anbei erhalten Sie den Wortlaut des Interviews.
Mit freundlichen Grüßen
Herr Thierse, Sie haben sich schon lange vor Beginn des aktuellen
Konflikts mit Iran für das Land interessiert. Warum eigentlich?
Iran ist ein hochspannendes Land, ein interessantes Beispiel. Dort
wird auf mühsame Weise versucht, Treue zum Islam und einen
Demokratisierungsprozess miteinander zu verbinden. Wo gibt es das
sonst? Iran ist darin ein kostbares Beispiel. Das Experiment sollte
man nicht durch Drohungen, durch Schüren eines offenen Bürgerkriegs
oder durch einen Demokratisierungskrieg von außen beenden.
Wie sehen Sie die aktuelle Lage in Iran?
Wir haben es dort mit einer Art Dauerkonflikt zu tun, einem leisen
und zähen Bürgerkrieg zwischen den Reformkräften im Parlament, dem
Staatspräsidenten, der Mehrheit der Bevölkerung einerseits und den
Mullahs, der traditionalistischen Justiz und manchen Medien auf der
anderen Seite. Momentan scheinen die konservativen Kräfte wieder
einen Sieg errungen zu haben.
Wie sollte das Ausland darauf reagieren?
Wir müssen zwei Dinge miteinander verbinden: Wir sollten Kontakte
mit den Reformkräften pflegen, für sie Partei ergreifen und zugleich
mehr Kontrolle über das iranische Atomprogramm einfordern.
Ist das die moderne Variante vom "Wandel durch Annäherung"?
Ja, wenn man so will. Das Paradox der Entspannungspolitik gilt
weiter. Man muss sich auf die Verhältnisse einlassen, um sie
verändern zu können, um Einfluss von außen zu gewinnen. Man muss die
Kräfte der inneren Entwicklung befördern und nicht durch eine
Drohkulisse, durch die Androhung von Krieg die Mullahs stärken. Wir
kennen das aus der Zeit des Kommunismus. Die Frontsituation hat immer
den Reaktionären geholfen.
Also bloß keinen Regimewechsel in Iran?
Nein. Jedenfalls nicht durch Konfrontation, nicht durch die
Androhung von Krieg, sondern durch die Unterstützung der islamischen
Zivilgesellschaft.
Die US-Regierung sagt aber: Wenn Iran auf die Forderungen nach
Offenlegung seines Atomprogramms nicht eingeht, wenn alle friedlichen
Mittel erschöpft sind, dann werden wir zu anderen greifen müssen. Was
sagen Sie den amerikanischen Freunden?
Da zitiere ich zunächst den britischen Außenminister Jack Straw,
der sagt: "Großbritannien wird einem Angriff auf Iran nicht
zustimmen." Fein. Dann sind wir diesmal auf der britischen Seite. Das
ist ja schon mal ganz hilfreich.
Sie raten zur Geduld, während die Amerikaner jene Kräfte
mobilisieren, die die Ajatollahs wegfegen möchten.
Die US-Strategie setzt die Einschätzung voraus, dass diese Kräfte
stark genug sind. Das ist aber bisher nicht zu sehen. Gerade die
Demokraten in Iran haben mir gesagt: Ihr müsst Geduld haben. Deren
Einschätzung ist: Ein wirklicher Bürgerkrieg würde sehr blutig sein,
mit enormen Kosten und ungewissem Ausgang.
Was wäre denn so schlecht an einer Militärintervention? Im Irak
hatte der Krieg nicht so verheerende Folgen wie von Ihnen befürchtet.
Ist im Irak irgendein Problem gelöst, außer dem, dass der
entsetzliche Diktator weg ist?
Käme den Reformern in Iran ein Enthauptungsschlag nicht sogar
entgegen?
Ich möchte mich nicht daran gewöhnen, dass wir in immer neuen
Ländern Demokratisierungskriege führen. Die Probleme, die danach zu
bewältigen sind, sind jeweils riesig. Deswegen ist es vernünftiger
und wohl auch aussichtsreicher, Demokratisierungsprozesse, die im
Land selbst begonnen haben, zu unterstützen und zu befördern.
Den USA dauert das offenbar zu lange.
Wir müssen uns der betroffenen Menschen wegen die Zeit nehmen.
Niemand kann bei einem Demokratisierungskrieg gegen Iran garantieren,
dass die Opfer bei einigen tausend bleiben, wie es wohl im Irak
gewesen ist. Zudem waren die Zerstörungen dort ja doch beträchtlich.
Und die Mühsal des Aufbaus ist erheblich größer, als die
amerikanischen Weltpolitiker sich eingebildet haben.
Sie haben im Nachhinein keine andere Sicht auf den Irak-Krieg?
Nein, meine Position hat sich nicht geändert. Ich finde es gut,
dass der Diktator weg ist. Aber ich glaube nicht, dass man Demokratie
auf Krieg gründen kann. Durch Blitzkriege kann man Demokratieaufbau,
die Herstellung zivilgesellschaftlicher Strukturen, eine
funktionierende Wirtschaft nicht erzeugen. Sehen Sie denn ernste
Anzeichen für ein amerikanisches Eingreifen in Iran?
Die Situation ist offen. Wenn aber der britische Außenminister
Anlass sieht, sich dazu zu äußern, dann muss er Anlass haben. Sie
sind also beunruhigt?
Ein bisschen. Man sollte das Experiment in Iran nicht durch einen
Krieg gefährden.
Aber das iranische Atomprogramm beunruhigt Sie nicht sonderlich?
Doch. Ich bin ja auch sehr dafür, dass die internationale
Gemeinschaft auf die Unterzeichnung des entsprechenden
Zusatzprotokolls, also auf Kontrollen im Lande drängt. Aber was, wenn
sich Iran dieser Forderung widersetzt? Fatal wäre, wenn wir bei jedem
politisch-diplomatischen Problem ab sofort mit Krieg drohten. Wir
haben einen Konflikt, ein Land zeigt sich uneinsichtig, störrisch,
und darum überziehen wir es mit Krieg - das darf nicht das
Grundmuster der Weltpolitik werden.
Jost Müller-Neuhof
Redakteur Politik
Verlag Der Tagesspiegel GmbH
Potsdamer Straße 77-87
10785 Berlin
Tel.    (030) 260 09-429
Fax    (030) 260 09-416
jost.mueller-neuhof@tagesspiegel.de
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Telefon:030-260 09-419
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