All Stories
Follow
Subscribe to taz - die tageszeitung

taz - die tageszeitung

Die Angst vor den Grünen
Kommentar von Silke Mertins zur Krise der Union

Deutschland (ots)

Selten hat man die Union mit so hartem Besen durch die eigenen Reihen fegen sehen. Kaum stehen Korruptionsvorwürfe gegen einen Abgeordneten im Raum, folgen eilig auch schon Ultimatum und Rauswurf. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ließ sich angesichts des Korruptionsfalls Alfred Sauter keine Zeit. Am heiligen Sonntag trat er vor die Presse, um das strukturelle Problem der CSU einzugestehen und ab sofort "maximale Transparenz" bis in die "kleinste Verästelung" zu versprechen. Es klingt nach einer radikalen Kehrtwende, doch die Glaubwürdigkeit des harten Durchgreifens hängt davon ab, wie die hohen Ansprüche an Mandatsträger tatsächlich umgesetzt werden.

Die hektische Betriebsamkeit im Unionslager hat außerdem einen Grund, der mehr als nur Einsicht umfasst: Panik. Die Zustimmungswerte der Union sind derzeit im freien Fall. Die jüngste Umfrage der Bild am Sonntag sieht sie nur noch bei 27 Prozent, während die Grünen bei 22 Prozent liegen. Söder macht schon lange keinen Hehl mehr daraus, dass er nicht die SPD, sondern die Grünen als Hauptgegner bei den Wahlen sieht. Er hatte sich aber bisher wohl nicht vorstellen können, dass der Absturz auf den zweiten Platz im Bereich des Möglichen liegt.

Selbst wenn keine neuen Skandale auftauchen, könnten drei Faktoren die Angst der Union vor der grünen Konkurrenz verschlimmern: ein Dürresommer mit neuen Hitzerekorden, fortgesetztes Chaos in der Coronabekämpfung und Robert Habeck als grüner Kanzlerkandidat. Habecks Erfolgsaussichten sind nach derzeitigem Stand bis zu drei Prozentpunkte besser als die der Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock.

Die Union muss jedoch nicht nur den nicht übermäßig wahrscheinlichen Abstieg auf den zweiten Platz fürchten. Starke Grüne würden auch größere Zugeständnisse in einer möglichen schwarz-grünen Koalition bedeuten. Oder, schlimmer noch: ein Bündnis ohne Union, etwa eine grüne Ampel oder ein Linksbündnis.

Während die Union der SPD immerhin noch vorwerfen kann, selbst Dreck am Stecken zu haben - Stichwort Wirecard -, sind die Grünen im Punkt unlautere Nebenverdienste kaum angreifbar. Das Schlimmste, was dort bisher bekannt wurde, waren privat genutzte Flugmeilen von Dienstreisen. Im Ringen um Glaubwürdigkeit im Vorfeld der Bundestagswahlen im September müssten CDU/CSU beim Lobbyregister schon erheblich weiter gehen, als sie bisher bereit waren.

Den Konservativen steht deshalb wohl einer der schwierigsten Wahlkämpfe seit dem Ende der Kohl-Ära bevor. Und der ging bekanntlich nicht gut für die CDU/CSU aus.

Pressekontakt:

taz - die tageszeitung
Susanne Knaul
Telefon: +49 30 25902 255
meinung@taz.de

Original content of: taz - die tageszeitung, transmitted by news aktuell

More stories: taz - die tageszeitung
More stories: taz - die tageszeitung
  • 16.03.2021 – 18:15

    Das Schweigen ist vorbei, Kommentar von Katrin Gottschalk

    Berlin (ots) - Zehn Frauen reichen im November 2020 bei der Vertrauensstelle Themis eine Beschwerde ein gegen den Intendanten der Berliner Volksbühne. Es geht um Machtmissbrauch und sexualisierte Grenzüberschreitungen. Mitte Januar landet die Beschwerde bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur. Am 12. März veröffentlicht die taz eine Recherche zum Thema. Drei Tage später tritt Klaus Dörr zurück. Was die Frauen ...

  • 10.03.2021 – 17:46

    Die Ungleichheit ist politisch gewollt/Kommentar zur WZB-Studie von Ulrich Schulte

    Berlin (ots) - Manchmal bestätigen Studien auf traurige Weise das, was ohnehin schon alle wissen. Klar trifft Corona die alleinerziehende Aldi-Verkäuferin härter als den Marketingmanager mit Ehefrau und Kind. Sie lebt in der engen Mietwohnung, er im abbezahlten Haus mit Garten. Sie muss jeden Morgen zur Arbeit, er bleibt im Homeoffice. Sie kann dem Kind kaum beim ...