Arbeiter nutzen ihre neue Macht noch nicht
Arbeiter nutzen ihre neue Macht noch nicht
Die Streiks im öffentlichen Dienst deuten an, dass die Zeit der Bescheidenheit vorbei ist und sich die Machtverhältnisse auf den Arbeitsmärkten verschieben. Überall wird händeringend Personal gesucht, die Vakanzzeiten sind in klassischen Ausbildungsberufen besonders hoch. Der Großteil der Arbeiterschaft nutzt die neue Macht bisher jedoch noch nicht aus. Das zeigt eine aktuelle Studie des Jobportals meinestadt.de, für die das Marktforschungsinstitut Bilendi im Januar 2023 insgesamt 3.000 Fachkräfte mit Berufsausbildung befragt hat.
Selbstbewusste Fachkräfte
„Hast du das Gefühl, dir aktuell den Job aussuchen zu können?” Hier stimmen branchenübergreifend fast die Hälfte der Fachkräfte zu (49,0 %). Vollzeitkräfte sind mit 50,8 % eher davon überzeugt, sich den Job aussuchen zu können als Teilzeitkräfte (44,0 %). Im Branchenvergleich sind Fachkräfte in der Pflege mit 74,1 % am optimistischsten im Hinblick auf ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt, der Handel ist mit 41,8 % deutlich pessimistischer gestimmt.
Ungenutzte Marktmacht
Die meisten Fachkräfte wissen zwar um die Verhältnisse auf den Arbeitsmärkten, sind aber noch deutlich zurückhaltend, wenn es darum geht, die gewonnene Marktmacht auszunutzen. „Würdest du sagen, du nutzt die guten Voraussetzungen für Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt aktiv, um dich - z.B. durch Jobwechsel - beruflich zu verbessern?” Nicht einmal ein Drittel der Fachkräfte (30,8 %) antwortet hier mit „Ja”: In der Pflege sind es mit 41,7 % deutlich mehr, im Handel etwas weniger (28,5 %). In Teilzeit beschäftigte Fachkräfte sind mit 24,8 % besonders zurückhaltend.
Zurückhaltung auf dem Arbeitsmarkt
Von akademischen Arbeitsmärkten ist das Phänomen längst bekannt: Sind Arbeitskräfte begehrt und werden knapp, treten sie am Arbeitsmarkt offensiver auf. Sie stellen zum Beispiel in Jobinterviews höhere Gehaltsforderungen. Oder sie fordern Arbeitsbedingungen ein, die eher ihren Wünschen entsprechen – wie zum Beispiel großzügigere Home-Office-Regelungen. Bekommen sie das bei ihren Arbeitgebern nicht mehr, wechseln sie den Job. Aktuell trifft das der Studie zufolge erst auf einen kleineren Teil der Fachkräfte zu.
Traumjob gefunden?
Liegt die aktuelle Zurückhaltung vielleicht daran, dass Fachkräfte lange daran gewöhnt waren, dass Jobsuche für sie ein schwieriges Geschäft war und bei dem Arbeitgeber am längeren Hebel sitzen? Das könnte möglich sein. Noch ein weiterer Grund mag eine Rolle spielen: Fachkräfte mögen ihre Jobs. „Inwieweit trifft der Begriff „Traumjob” auf deine aktuelle Tätigkeit zu?” Hier stimmen 56,9% der Fachkräfte zu.
Mehrkosten durch Inflation und steigende Preise – mit Fachkräfte-Gehalt ein Problem
Dabei trifft die Krise die meisten Fachkräfte hart: Sieben von zehn Fachkräften macht die wirtschaftliche Entwicklung in puncto Energiekrise, Inflation und Lieferengpässen aktuell Angst. 82,0% rechnen mit wirtschaftlichen Einschnitten. “Kannst du etwaige Mehrkosten der Krise (Inflation, höhere Energie- und Lebensmittelpreise) mit deinem Gehalt langfristig abdecken?” Nur 18,1 % entscheiden sich hier für ein uneingeschränktes “Ja”. 12,5 % geben an, sich die Mehrkosten schon jetzt nicht mehr leisten zu können. 27,4 % rechnen mit vorübergehenden Schwierigkeiten und 42,1 % damit, die Kosten zwar decken zu können, sich aber dafür bei anderen Ausgaben einschränken zu müssen. 74,9 % von ihnen bekommen keinerlei Unterstützung von ihren Arbeitgebern.
Der Hammer kommt noch
“Der eigentliche Fachkräftemangel steht den Unternehmen noch bevor – das eher defensive Bewerbungsverhalten hinkt den aktuellen Verhältnissen auf den Arbeitsmärkten hinterher. Die Mehrheit der Fachkräfte scheint derzeit zufrieden im Job”, sagt Mark Hoffmann, CEO von meinestadt.de: “Arbeitgeber sollten alles dafür tun, dass dies so bleibt.” Die Forderungen der Arbeitnehmer dürften sich dann nicht nur auf das Gehalt beziehen. Die Diskussion um New Work-Konzepte ist in den Büros angekommen, geht bislang aber an den Fachkräften in Werkshallen, Pflegeeinrichtungen oder Handwerksbetrieben weitestgehend vorbei: Rund zwei Drittel der Fachkräfte mit Berufsausbildung können beispielsweise gar kein Homeoffice machen. Wie kann auch ihnen bzw. Mitarbeitenden im Schichtdienst mehr Flexibilität gewährt werden? Hier müssen Arbeitgeber kreativ werden, um zukünftig gute Fachkräfte zu gewinnen und zu halten.
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