Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Nebentätigkeit von Abgeordneten: Dem Bürger verpflichtet - Leitartikel von Ulf Meinke
Essen (ots)
Das Grundgesetz spricht eine klare Sprache. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, so heißt es in Artikel 38, "sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen". Doch die Freiheit des Abgeordneten hat ihre Grenzen. Künftig also müssen die Politiker offen legen, wenn sie neben ihrer Tätigkeit als Parlamentarier Geld erhalten - etwa als Vorstand, Aufsichtsrat oder Berater eines Unternehmens. Die Freiheit des Abgeordneten, so formuliert es das Verfassungsgericht, bedeutet keine Freiheit von Pflichten.
Ja, ein Mitglied des Bundestages ist zunächst einmal den Menschen verpflichtet. Wenn man in diesem Zusammenhang schon über Geld reden muss, ist der Steuerzahler der "Arbeitgeber" des Politikers, nicht irgendein Konzern. Und dieser Arbeitgeber verlangt zu Recht vollen Einsatz. Im Übrigen mussten sich auch Vorstände daran gewöhnen, dass ihre Arbeitgeber, die Aktionäre, Auskunft über das jeweilige Gehalt verlangen. Im Falle eines Abgeordneten sollte sich eigentlich gar nicht die Frage stellen, was denn der Nebenjob oder der Hauptberuf ist: die Arbeit als Parlamentarier oder als Firmenberater. Wie will sich ein Mitglied des Bundestages wirklich um die Belange der Bürger im eigenen Wahlkreis kümmern, wenn er in dutzenden Aufsichtsgremien oder Verwaltungsräten sitzt?
Mindestens ebenso wichtig ist die Frage nach verdeckter Einflussnahme auf die Parlamente. Verbieten kann, ja darf oder sollte man einem Politiker seinen Job bei der Tabak-Lobby nicht. Es geht vor allem darum, Transparenz herzustellen. Wenn ein Abgeordneter, der sich gegen den Nichtraucherschutz engagiert, gleichzeitig Geld als Berater der Zigarettenindustrie erhält, dann sollten dies die Wähler wissen. Es wäre naiv zu glauben, ein Konzern verpflichte einen Abgeordneten allein wegen seiner Fachkenntnisse. Natürlich geht es auch um die Durchsetzung von Interessen.
Es ist ja richtig, dass sich der Bundestag nicht dem Wissen selbstständiger Unternehmer oder Rechtsanwälte verschließen darf. Für sie müssen in der praktischen Umsetzung der Veröffentlichungspflichten Regeln gefunden werden, die Betriebs- oder Mandantengeheimnisse schützen, damit die Politiker - und zwar wirklich in Form eines Nebenjobs - ihren bürgerlichen Berufen nachgehen können. Aber richtig ist auch, dass Abgeordneten schon allein aus Steuermitteln ein finanziell unabhängiges Leben ermöglicht wird. Dieses Privileg sollten Parlamentarier vor allem nutzen, um klug und verantwortungsvoll die Politik zu gestalten.
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