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WAZ: Gesellschaftspolitik im Zentrum - Ersatzweise wird das Kindergeld erhöht - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

In den vergangenen Jahren konkurrierten die
Volksparteien hauptsächlich um die Hoheit über die 
Wirtschaftskompetenz. Gerhard Schröder betrieb die Aufholjagd der SPD
derart entschieden, dass er sich den Titel "Genosse der Bosse" zuzog.
Nachdem Rot-Grün die Agenda 2010 durchgesetzt hatte, glaubte Angela 
Merkel aufholen zu müssen, was in den Reformwahlkampf 2005 mündete - 
und in den verlorenen Sieg.
 Nach der Wahl in Hessen und vor der Wahl in Hamburg sowie mit dem 
Blick auf die nächste Bundestagswahl melden sich aus Union und SPD 
gelegentlich Politiker, die ihre Parteien ermahnen: Ohne 
Wirtschaftskompetenz geht es nicht. Den Wahlkampf in Hamburg (und 
2009 im Bund?) aber bestreiten beide Parteien mit 
gesellschaftspolitischen Themen. Das hat mehrere Gründe. Zum einen 
zeigt die Analyse der Wahl in Hessen, dass die geballte 
Wirtschaftskompetenz von Roland Koch kaum jemanden beeindruckt hat. 
Wähler haben sich für die Schulprobleme ihrer Kinder interessiert und
ein wenig noch für Mindestlöhne. Daraus könnte man lesen, dass 
Menschen sich nicht weiter mit der Wirtschaft beschäftigen, wenn 
alles gut läuft.
Tatsächlich aber teilen Wähler überwiegend die Empfindung, dass 
der Aufschwung bei ihnen nicht angekommen sei und wissen, dass er an 
Schwung verliert. Gleichzeitig haben sie viel über die 
Gestaltungskraft der Bundesregierung gelernt. Der Börsenkrise 
begegnete die Koalition mit entschlossenen Appellen, nicht in Panik 
zu verfallen. Nach der Standortflucht von Nokia warfen einige 
Politiker ihr Handy weg. Und während der Diskussion über 
astronomische Bezüge für Manager sagte Kanzlerin Angela Merkel, dass 
sie überhöhte Gehälter nicht gut finde.
Womöglich halten viele Menschen das wirtschaftliche Geschehen 
inzwischen für höhere Gewalt, die sich irgendwo zwischen der EU und 
den unbeherrschbaren Finanzmärkten entfaltet. Das wäre für die 
Volksparteien verhängnisvoll, die doch gerade erst und viel zu spät 
erkannt haben, dass Familienpolitik und Bildungspolitik die 
Grundlagen der Wirtschaftspolitik in einem Land bilden, das sich im 
Strukturwandel zu einer Wissensgesellschaft befindet.
So deutlich möchte die Große Koalition das auch nicht erklären, 
denn sie hat insbesondere die Bildungspolitik derart gering 
geschätzt, dass sie im Zuge der Föderalismusreform Zuständigkeiten an
die Länder abgegeben hat, statt Kompetenzen zurückzugewinnen. 
Ersatzweise soll nun das Kindergeld erhöht werden.

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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