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WAZ: Der Präsident entscheidet selbst - Köhler, die Menschen und die Macht - Leitartikel vVon Ulrich Reitz

Essen (ots)

Die meisten Menschen mögen Horst Köhler. Wo der
Bundespräsident auftaucht, wird er schnell von vielen Bürgern 
umringt, die ihn loben, um Rat fragen oder einfach mal nur anfassen 
wollen. Man kann darüber hochnäsig spötteln oder solche Begebenheiten
für unpolitisch halten, aber: Sie sind zutiefst menschlich.
Köhlers Beliebtheit gründet gerade nicht auf dem politischen, 
sondern dem menschlichen Faktor. Er wird gemocht, weil er anders 
spricht als das Polit-Establishment, viel bodenständiger, bisweilen 
sein Herz auf der Zunge trägt und, kurzum: ein glaubwürdiger 
Vertreter der praktischen Vernunft ist. Es sind aber genau diese 
Eigenheiten, die Horst Köhler in dem politischen Betrieb in Berlin 
nach wie vor als eine Art sympathischer Fremdkörper erscheinen lässt.
Horst Köhlers Beliebtheit als Anti-Politiker erklärt, weshalb die
politische Klasse mit dem Mann fremdelt. Deswegen erscheint die 
Wiederwahl-Diskussion so kühl, technokratisch, leidenschaftslos. Von 
den Parteien - mit Ausnahme der Linken - wird Köhler favorisiert, 
weil sie glauben, keine andere Wahl zu haben.
Denn auch mit seiner ganz persönlichen Politik-Mischung ist 
Köhler ein Außenseiter. Wenn die SPD plant, einmal etwas Positives 
loszuwerden über Köhler, lobt sie seine Reden über Afrika. Dabei ist 
Entwicklungshilfe für die Traditionspartei auch nur ein Nischenthema.
Für die Merkel-Union kann der liberale Präsident schon lange nicht 
mehr als eine Art von Resonanzkörper funktionieren; liberal will die 
Merkel-Union nicht mehr sein. Einzig die Liberalen freuen sich 
aufrichtig über Köhler. Kunststück, er ist, wovon Westerwelle träumt:
ein Vorzeige-Liberaler, der in und für Deutschland im Spitzenamt 
etwas zu sagen hat.
Wird Köhler wiedergewählt, dann nicht weil, sondern obwohl er ein
Liberaler ist. Ein schönes Paradoxon, den Machtverhältnissen 
geschuldet. Vielleicht gibt es nach der Bayern-Wahl in der 
Bundesversammlung eine Mehrheit für einen rot-rot-grünen Kandidaten, 
aber dieses Signal kann die SPD ganz gewiss nicht brauchen zur 
Bundestagswahl. Und sich mit der FDP wegen einer denkbaren 
Ampelkoalition auf eine Alternative zu verständigen, kommt für die 
Liberalen nicht infrage. Warum auch: Sie haben ihren Favoriten doch 
längst untergebracht im gewünschten Amt.
Und so braucht Horst Köhler nur noch abzuwarten. Auf den aus 
seiner Sicht symbolträchtigsten Tag, seine Bereitschaft zu erklären. 
Der 23. Mai bietet sich an, der Verfassungstag. Das Volk wird's 
freuen.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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