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WAZ: Konjunkturprogramme in Europa - Merkel dreht nur widerwillig bei - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Auch die Kanzlerin erwartet eine außergewöhnlich
kräftige Rezession. Doch während andere europäische Wirtschaftsmächte
mit außergewöhnlich kräftigen Konjunkturprogrammen und 
Steuersenkungen reagieren, belässt es Deutschland bei einem 
vergleichsweise bescheidenen Paket. Nun wird Merkel getrieben, mehr 
zu tun. Von ihren europäischen Partnern, aber auch von ihrer 
angeschlagenen Schwesterpartei und dem eigenen Wirtschaftsflügel. 
Urplötzlich gerät Merkel in die Defensive. Und sie kann nur 
verlieren: Ihr Ruf als
starke Krisenmanagerin steht auf dem Spiel.
Es gibt keinen Grund, Merkel dafür zu bedauern. Sie hat 
Frankreichs Präsident Sarkozy mit seinem Vorstoß für eine europäische
Wirtschaftsregierung abblitzen lassen. Dafür gab es auch gute Gründe,
doch wer auf nationale Krisenbewältigung setzt, darf sich nicht 
grämen, wenn er in ein kontinentales Wettrennen um das größte und 
beste Konjunkturprogramm gerät. Nun muss sich die Bundesregierung an 
den Briten und Franzosen messen lassen.
Noch schwieriger als auf europäischer Ebene wird es für Merkel, 
im eigenen Lager die Orientierung zu behalten. Sie ist von 
Parteikollegen und Beratern umzingelt, die kein Problem damit haben, 
ihre Meinung einmal komplett auf links zu drehen. Nicht der 
Sozialflügel sitzt ihr im Nacken, sondern eine Riege von 
marktliberalen Wirtschaftspolitikern, die noch vor wenigen Wochen 
Konjunkturprogramme für ein Relikt des Sozialismus gehalten haben. 
Die Wirtschaftsweisen haben ihr Credo "Markt vor Staat" bis auf 
Weiteres ins Gegenteil verkehrt. Und liberale Kommentatoren halten 
ihr auf einmal Blüm vor und ätzen, sie habe sich ihr Leipziger 
Programm von "McKinsey-Smarties" diktieren lassen. Wer 2005 nach dem 
schwachen Wahlergebnis noch nicht nachgetreten hat, tut es jetzt.
Merkel schwenkt ja um: Aus den "freien" sind im CDU-Leitantrag 
die "geordneten Märkte" geworden. Doch ihr Zögern verrät, dass sie 
für Wählerstimmen, aber gegen ihre Überzeugung beidreht. Im Moment 
sind jedoch schnelle Entscheidungen vonnöten, um der Krise zu 
begegnen. Hilfreich ist, was sofort bei den Leuten ankommt. Die 
Briten machen es vor, Deutschland sollte es nachmachen: Die 
Mehrwertsteuer muss runter. Dann können die Menschen von ihrem Geld 
mehr kaufen. Und was der Staat ohnehin mittelfristig in Straßen, 
Schienen und Gebäude investieren müsste, sollte er vorziehen. Nur ein
Staat, der in der Krise Stärke zeigt, hat in besseren Zeiten die 
Kraft, sich zurückzuziehen. Und das muss er, um seine Schulden 
zurückzuzahlen.

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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