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WAZ: Horst Schlämmer und die Politik - Letzte Ausfahrt Wunderland. Leitartikel von Jens Dirksen

Essen (ots)

Das ist Postmoderne: Die Ironie der Geschichte
besteht heute allzuoft darin, dass es sich in Wahrheit um bitteren 
Ernst handelt. Ausgerechnet Christdemokraten drehen krumme 
Spendendinger. Ausgerechnet Sozialdemokraten machen Unternehmen die 
größten Steuergeschenke. Ausgerechnet Grüne propagieren 
Kriegseinsätze.
Da wird es immer schwieriger, Satire und Politik zu 
unterscheiden. Der "Borat"-Komiker Sacha Baron Cohen bekommt 
Drohungen von den Al-Aksa-Brigaden. Und wenn Hape Kerkeling den 
Kanzlerkandidatendarsteller spielt, strömen gestandene 
Hauptstadt-Journalisten zur Pressekonferenz, um sich von Horst 
"Schätzelein" Schlämmer strubbelig quatschen zu lassen; zwei 
Nachrichtensender übertragen alles live, wie im echten 
Politikbetrieb.
Verwechselungen von Wirklichkeit und Fiktion hat es immer 
gegeben. Als Goethes "Werther" erschienen war, ging eine 
Selbstmordwelle durchs Land. Später schrieben Menschen, die in 
unauflösbare Kriminalfälle verwickelt waren, massenhaft an Sherlock 
Holmes. Und die Zahl derer, die sich von Professor Brinkmann aus der 
Schwarzwaldklinik operieren lassen wollten, ist Legion. Oft drückt 
sich in derlei Wirklichkeitsverlust eine Sehnsucht aus, ein Mangel 
der realen Welt, der geradezu ohnmächtig erfahren wird. Letzte 
Ausfahrt Wunderland.
 So wirft Horst Schlämmer ein Licht auf die Politik: Der Mann ist ja 
nicht trotz seiner Schnappatmung und des Schnäuzers so beliebt, 
sondern gerade weil er daraus keinen Hehl macht. Weil er, komisch 
genug, ehrlich scheint. Anders als aalglatte Politiker, die wirken, 
als gingen sie alle zum selben Gestentrainer, zum selben Frisör. 
Wirtschaftsminister zu Guttenberg zeigt, dass es schon reicht, anders
als die anderen und authentisch zu wirken, um beliebter zu werden als
alle. Aus dem unechten Mund von Horst Schlämmer aber dringt, 
ironisch, Wahres. Dinge, die fast jeder weiß, und die sich einfach 
nicht ändern wollen, nicht mal durch öffentliches Aussprechen. So 
steckt in der Schlämmermania auch ein Stück Ohnmacht, die in Gefühl 
umgeschlagen ist.
Und doch: So sehr sich die Menschen nach Politikern sehnen, die 
zur Wahrheit stehen - wer es tut, riskiert abgestraft zu werden. Von 
Angela Merkel werden wir vor der Wahl also kaum zu hören bekommen, 
was danach auf uns wartet. Vor vier Jahren, als sie das getan hat, 
wäre sie beinahe daran gescheitert. Das ist die wahre Ironie.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de

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